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Mein junges idiotisches Herz

Vermummte

(Bühne und Kostüm)
Text: Ilan Hatsor
Regie: Frank Siebenschuh
Theater Augsburg, Komödie
Premiere: 29.09.06

Augsburger Allgemeine 2.Oktober 2006 von Günter Ott

Drei Brüder, ein Verräter

Das Theater klärt auf: Ilan Hatsors „Vermummte‘ in der Augsburger Komödie

Die Bühne der Hella Prokoph in der Augsburger Komödie gleicht einem Schlachthaus. Reihum helle Fliesen, in der Mitte eine nach hinten stoßende Vertiefung, abgeschlossen durch Plastikbahnen. Eine Treppe führt auf die Vorderbühne. Dort steht ein Zinkeimer. Das ist alles. Ein nacktes Bühnenbild. Es spricht Bände über Leid und Blut im Nahen Osten.
Die Fronten zwischen Israelis und Palästinensern sind nicht klar auszumachen. Sie laufen wie Haarrisse unter der Oberfläche – Risse, die größer und größer werden und Familien sprengen. Davon spricht der 1964 in Haifa geborene Dramatiker han Hatsor in seinem Stück „Vermummte“. Es wurde 19990 in Israel uraufgeführt.

Drei Männer, drei Brüder, drei Palästinenser. Der eine, Da’ud, arbeitet bei den Israelis. Er wechselt die Linien, kommt unter Verdacht. Steckt er mit den Israelis unter einer Decke. Ist er ein Verräter? Das Psychodrama ist auch ein Verhör, geführt von Na’im. Thomas Peters, im soldatischen Drillich (Kostüme: Hella Prokoph), tritt wie ein Scharfmacher auf, einer, der nachbohrt, der Da’ud in die Enge treibt, dorthin, wo sich – vielleicht – die Wahrheit verbirgt. Hat sich Daud am Freiheitskampf versündigt? Peters spielt in Wort und Geste seine Härte aus – und doch rumort in ihm die Unsicherheit, die Angst vor der Wahrheit, der Zweifel. Ist es sinnvoll, wofür er kämpft, wenn ihn dieser Kampf gegen den Bruder stellt? Robert Arnold, im Anzug, tritt als Da’ud auf, anfangs bester Laune, Oliven kauend. Doch allmählich dämmert ihm, dass er an der Klagemauer steht. Er hat etwas zu verteidigen, Frau und Kind, sein Leben. Er will in diesem mehr als gordisch verknoteten Konflikt den Hals aus der Schlinge ziehen. Und zieht den Strick enger und enger. Der Dritte im Bunde ist der Jüngste, Khaled. Markus Baumeister (wie Robert Arnold neu im Augsburger Ensemble) glaubt noch an das Gute, den friedlichen Ausgang des brüderlichen Zusammenpralls. Wenn dieser eskaliert, fängt er an zu summen, als wolle er die bösen Geister vertreiben. Oder er krümmt sich unter die Treppe oder lehnt schiefmäulig und starr an der Wand, hilflos. Was tun?

Die Pistole in der Hand
Einmal stehen die Drei zusammen, umarmen sich. Dann wieder treibt Regisseur Frank Siebenschuh sie auseinander. Sie verschnaufen, schweigen, wissen nicht weiter, sammeln sich zum neuen Angriff – bis Na’im den Kopf des Da’ud packt und in den Wassereimer stößt, einmal, zweimal, dreimal. Eine Brüderdämmerung, eine Menschendämmerung.

Vertrauenskrise – was für ein papierdünnes Wort, eine Billigmünze der Politik. Doch Siebenschuh offenbart, wie sie sich ins Innere frisst, die Gewissheiten aufzehrt, wie Visionen und Träume zusammenkrachen. Die Inszenierung entwickelt einen Sog, reißt die Figuren aus der seelischen Verankerung. Und am Ende steht tatsächlich der Jüngste im Licht der Hinterbühne, die Pistole in der Hand! Ein Häuschen, eine Familie, Schafe auf dem Feld – so normal, so unspektakulär könnte das Leben sein. Ohne Komitees, die Verräter aufspüren. Ohne Sicherheitsdienste, die Familienväter erpressen und Verräter schaffen. Ohne den täglichen Nahost-Krieg. Regisseur Siebenschuh entfacht im eiskalten Verlies das Spiel mit dem Feuer. Er erhöht Reibungshitze zwischen den Brüdern. Robert Arnold, Thomas Peters und Markus Baumeister geben ihnen eigene Kontur und treffen sich am Ende doch in der schieren Ausweglosigkeit. Die Inszenierung gewinnt im wohlrhythmisierten Gegeneinander von Anziehung und Abstoßung eine unerbittliche Klarheit. Sie verzichtet auf alle Theaterei, setzt auf das Wort, bis die Nerven blank liegen. Sie vertieft die in den menschlichen Schicksalen wurzelnde Binnensicht eines Dauerkonflikts, wie sie nachhaltig auch von der palästinensischen Friedensarbeiterin und Augsburger Friedenspreisträgerin Sumaya Farhat-Naser vertreten wird. „Vermummte“ in Augsburg ist ein Beispiel aufgeklärten Theaters, das den nahezu täglich durch den Äther schwirrenden NahostNachrichten ein eindrucksvolles psychisches Fundament gibt.

Aichacher Zeitung 4. Oktober 2006 von Carina Lautenbacher

Beklemmender Bruderkampf

Sie schreien sich an. Sie umarmen sich, schlagen und belauern sich. Und sie schweigen viel. Und über allem schwebt die eine Frage: Hat er oder hat er nicht? Hat der älteste Bruder Daud die Sache der Palästinenser verraten und mit ihr seine Freunde, seine Nachbarn und auch seinen Bruder Na’im? Mindestens ein Dutzend Mal hat ihm das Publikum bei der Premiere von Vermummte“ in der Augsburger Komödie geglaubt, dass alles nur ein Missverständnis ist. Ein weiteres Dutzend Mal wurde es an diesem eindringlichen Theaterabend eines Besseren belehrt.

Die zweite Premiere der Spielzeit mit dem Motto „Wir. Terroristen“ führt mit dem Stück ,,Vermumrnte“ des israelischen Autors Fan Hatsor leibhaftig an einen Ort des Terrors: Nach Israel, in die Nähe von Tel Aviv, ins Ende der 80er Jahre zur Zeit der ersten Intifada. Dort treffen drei Brüder aufeinander, augenscheinlich vor einer großen Katastrophe: Naim ist Mitglied des bewaffneten Widerstands gegen „die Juden“. Das Komitee, dem er angehört, verdächtigt seinen ältesten Bruder der Kollaboration mit den Israelis, ihm drohen Folter und Tod. Eine letzte Aussprache vor dem Verhör soll Licht ins Dunkel bringen. Im Beisein des jüngeren Bruders, kindlicher Sympathisant des Widerstands, kommen die beiden in einem alten Schlachthof zu einem emotionalen Showdown zusammen.

Den Ort dieser existenziellen Begegnung hat Bühnenbildnerin Hella Prokoph in bedrängendem Minimalismus gestaltet: ein weiß gekachelter Gang, künstliches Licht, kein einziges Möbelstück und keine Hand voll Requisiten. Die drei Männer werden zurückgeworfen auf das Ureigentliche ihres Konflikts. In dem geht es nicht um Besatzer und Nationalstolz, nicht um Dschihad, nicht um Westjordanland oder Gaza-Streifen. Vielmehr geht es um Treue, Verrat und Schuld, um Liebe, Hass und um die Wahrheit. Hatsors Stück, getilgt um einige Ortsnamen, könnte überall spielen, wo um die vermeintlich gerechte Sache gekämpft wird, überall wo gilt: Wer nicht für uns ist, ist gegen uns.

Neben dem vielseitigen Thomas Peters (Naim) standen gleich zwei Neuzugänge auf der Bühne. Robert Arnold, (Da’ud) der zuletzt am Tourneetheater Eurostudio Landgraf und am Nationaltheater Mannheim engagiert war, lieferte sich mit Peters ein starkes, ebenbürtiges Duell. Unter der Regie von Frank Siebenschuh balancieren die beiden auf dem schmalen Grat zwischen Zuneigung und Verachtung, wollen sich gleichzeitig festhalten und wegstoßen. In diesem Bruderkampf hat Markus Baumeister, der vom Theater Oberhausen kommt, bei seinem Augsburger Debüt eine schwierige Rolle auszufüllen: Khaled, der jüngere Bruder, der nur eines der vielen Opfer der Auseinandersetzung ist und der dem Konflikt so hilf- und sprachlos beiwohnt, wie Kleinkinder auf dem Treppenabsatz dem Ehekrach der Eltern. Denn „Vermummte“ sind nicht die Kämpfer, es sind die Opfer, die sich aus Selbstschutz zu verhüllen versuchen und Opfer sind sie alle. Die Intifada findet in den Köpfen statt.

Frank Siebenschuh verzichtet in seiner Inszenierung auf Verfremdung, Ironie oder Modernisierung und produziert mit radikaler Reduzierung etwas auf der Bühne selten Gewordenes, nämlich Glaubwürdigkeit. Nach intensiven, beklemmenden und spannenden eineinhalb Stunden, war das Publikum deshalb mitgenommen, aber begeistert. Vielleicht spricht sich das herum, denn die Ränge waren bei der Premiere vermutlich aus Furcht vor dem sperrigen Stoff bestenfalls zu zwei Dritteln gefüllt.

Bayerische Staatszeitung 6. Oktober 2006 von Hans Peter Plocher

Der Hass macht eine Verschnaufpause

Premiere im Theater Augsburg: „Vermummte“ von Ihan Hatsor Mitten ins Herz seines diesjährigen Spielplanmottos „Wir. Terroristen“ traf das Theater Augsburg mit der Premiere von Vermummte, eines emotional aufgeheizten und tragisch endenden Beziehungsdramas zwischen drei palästinensischen Brüdern im Umfeld der Intifada von 1990.
Ihan Hatsor, der Autor, ist gebürtiger Israeli. Keineswegs unter Verharmlosung der Problematik lenkt er den Blick auf das leidensgetränkte Seelenleben seiner Personen und verordnet damit dem Hass, der zwischen den Bombenwerfern wuchert, zumindest eine vorübergehende Auszeit. Dass schließlich doch alles so bleibt, wie es war und sich damit auch jedes verkitschte happy end verbietet, entspricht der Realität.

Im Mittelpunkt stehen drei junge Männer, die sich mit der Wirklichkeit im verminten Gelände zurecht finden müssen. Das Schauspiel Augsburg greift dabei auf zwei Neuerwerbungen zurück, die man nach diesem brisanten Politkrimi auf der Habenseite verbuchen kann. Markus Baumeister spielt Khaled mit einer glaubhaften Mischung aus bockigem Trotz und nervös explodierendem Fanatismus. Robert Arnold in der Rolle des Daud, der als Tellerwäscher in Tel Aviv sein Geld verdient, beginnt als machomäßig aufgemotzter Sunnyboy, der nur in Ruhe sein Zigarettchen rauchen und seine kleine Familie durchs Leben schippern will. Nachdem er als Kollaborateur enttarnt wird, verwandelt sich sein cooles Gehabe in eine Mischung aus schmutziger Scham und erbärmlicher Hilflosigkeit. Der ihn mit brachialer Gewalt zwingt, sich zu outen, ist Naim. Thomas Peters spielt den Kommandoführer mit abgebrühter Nüchternheit und brutaler Härte, hinter der sich jedoch wie bei allen Beteiligten Krater einer bis auf die Knochen abgefressenen Menschlichkeit auftun.
Über den Trümmern dieser Familien- und Kriegsgeschichte wehen dunkle Schwaden verbrannter Humanität.

Regisseur Frank Siebenschuh, der sich nicht zum ersten Mal als Meister psychologischer Ziselierung erweist, verlegt das Geschehen, bildkräftig unterstützt von Ausstatterin Hella Prokoph, in ein von oben bis unten mit verdreckten Kacheln bestücktes Schlachthaus-Ambiente. Mitunter quälend lange Pausen, in denen das Stück still zu stehen scheint, animieren das Gefühl der Ausweglosigkeit. Anhaltender Applaus für ein Lehrstück. Der Hass macht eine Verschnaufpause.


Augsburger Allgemeine 2.Oktober 2006 von Günter Ott

Drei Brüder, ein Verräter

Das Theater klärt auf: Ilan Hatsors „Vermummte‘ in der Augsburger Komödie

Die Bühne der Hella Prokoph in der Augsburger Komödie gleicht einem Schlachthaus. Reihum helle Fliesen, in der Mitte eine nach hinten stoßende Vertiefung, abgeschlossen durch Plastikbahnen. Eine Treppe führt auf die Vorderbühne. Dort steht ein Zinkeimer. Das ist alles. Ein nacktes Bühnenbild. Es spricht Bände über Leid und Blut im Nahen Osten.
Die Fronten zwischen Israelis und Palästinensern sind nicht klar auszumachen. Sie laufen wie Haarrisse unter der Oberfläche – Risse, die größer und größer werden und Familien sprengen. Davon spricht der 1964 in Haifa geborene Dramatiker han Hatsor in seinem Stück „Vermummte“. Es wurde 19990 in Israel uraufgeführt.

Drei Männer, drei Brüder, drei Palästinenser. Der eine, Da’ud, arbeitet bei den Israelis. Er wechselt die Linien, kommt unter Verdacht. Steckt er mit den Israelis unter einer Decke. Ist er ein Verräter? Das Psychodrama ist auch ein Verhör, geführt von Na’im. Thomas Peters, im soldatischen Drillich (Kostüme: Hella Prokoph), tritt wie ein Scharfmacher auf, einer, der nachbohrt, der Da’ud in die Enge treibt, dorthin, wo sich – vielleicht – die Wahrheit verbirgt. Hat sich Daud am Freiheitskampf versündigt? Peters spielt in Wort und Geste seine Härte aus – und doch rumort in ihm die Unsicherheit, die Angst vor der Wahrheit, der Zweifel. Ist es sinnvoll, wofür er kämpft, wenn ihn dieser Kampf gegen den Bruder stellt? Robert Arnold, im Anzug, tritt als Da’ud auf, anfangs bester Laune, Oliven kauend. Doch allmählich dämmert ihm, dass er an der Klagemauer steht. Er hat etwas zu verteidigen, Frau und Kind, sein Leben. Er will in diesem mehr als gordisch verknoteten Konflikt den Hals aus der Schlinge ziehen. Und zieht den Strick enger und enger. Der Dritte im Bunde ist der Jüngste, Khaled. Markus Baumeister (wie Robert Arnold neu im Augsburger Ensemble) glaubt noch an das Gute, den friedlichen Ausgang des brüderlichen Zusammenpralls. Wenn dieser eskaliert, fängt er an zu summen, als wolle er die bösen Geister vertreiben. Oder er krümmt sich unter die Treppe oder lehnt schiefmäulig und starr an der Wand, hilflos. Was tun?

Die Pistole in der Hand
Einmal stehen die Drei zusammen, umarmen sich. Dann wieder treibt Regisseur Frank Siebenschuh sie auseinander. Sie verschnaufen, schweigen, wissen nicht weiter, sammeln sich zum neuen Angriff – bis Na’im den Kopf des Da’ud packt und in den Wassereimer stößt, einmal, zweimal, dreimal. Eine Brüderdämmerung, eine Menschendämmerung.

Vertrauenskrise – was für ein papierdünnes Wort, eine Billigmünze der Politik. Doch Siebenschuh offenbart, wie sie sich ins Innere frisst, die Gewissheiten aufzehrt, wie Visionen und Träume zusammenkrachen. Die Inszenierung entwickelt einen Sog, reißt die Figuren aus der seelischen Verankerung. Und am Ende steht tatsächlich der Jüngste im Licht der Hinterbühne, die Pistole in der Hand! Ein Häuschen, eine Familie, Schafe auf dem Feld – so normal, so unspektakulär könnte das Leben sein. Ohne Komitees, die Verräter aufspüren. Ohne Sicherheitsdienste, die Familienväter erpressen und Verräter schaffen. Ohne den täglichen Nahost-Krieg. Regisseur Siebenschuh entfacht im eiskalten Verlies das Spiel mit dem Feuer. Er erhöht Reibungshitze zwischen den Brüdern. Robert Arnold, Thomas Peters und Markus Baumeister geben ihnen eigene Kontur und treffen sich am Ende doch in der schieren Ausweglosigkeit. Die Inszenierung gewinnt im wohlrhythmisierten Gegeneinander von Anziehung und Abstoßung eine unerbittliche Klarheit. Sie verzichtet auf alle Theaterei, setzt auf das Wort, bis die Nerven blank liegen. Sie vertieft die in den menschlichen Schicksalen wurzelnde Binnensicht eines Dauerkonflikts, wie sie nachhaltig auch von der palästinensischen Friedensarbeiterin und Augsburger Friedenspreisträgerin Sumaya Farhat-Naser vertreten wird. „Vermummte“ in Augsburg ist ein Beispiel aufgeklärten Theaters, das den nahezu täglich durch den Äther schwirrenden NahostNachrichten ein eindrucksvolles psychisches Fundament gibt.

Aichacher Zeitung 4. Oktober 2006 von Carina Lautenbacher

Beklemmender Bruderkampf

Sie schreien sich an. Sie umarmen sich, schlagen und belauern sich. Und sie schweigen viel. Und über allem schwebt die eine Frage: Hat er oder hat er nicht? Hat der älteste Bruder Daud die Sache der Palästinenser verraten und mit ihr seine Freunde, seine Nachbarn und auch seinen Bruder Na’im? Mindestens ein Dutzend Mal hat ihm das Publikum bei der Premiere von Vermummte“ in der Augsburger Komödie geglaubt, dass alles nur ein Missverständnis ist. Ein weiteres Dutzend Mal wurde es an diesem eindringlichen Theaterabend eines Besseren belehrt.

Die zweite Premiere der Spielzeit mit dem Motto „Wir. Terroristen“ führt mit dem Stück ,,Vermumrnte“ des israelischen Autors Fan Hatsor leibhaftig an einen Ort des Terrors: Nach Israel, in die Nähe von Tel Aviv, ins Ende der 80er Jahre zur Zeit der ersten Intifada. Dort treffen drei Brüder aufeinander, augenscheinlich vor einer großen Katastrophe: Naim ist Mitglied des bewaffneten Widerstands gegen „die Juden“. Das Komitee, dem er angehört, verdächtigt seinen ältesten Bruder der Kollaboration mit den Israelis, ihm drohen Folter und Tod. Eine letzte Aussprache vor dem Verhör soll Licht ins Dunkel bringen. Im Beisein des jüngeren Bruders, kindlicher Sympathisant des Widerstands, kommen die beiden in einem alten Schlachthof zu einem emotionalen Showdown zusammen.

Den Ort dieser existenziellen Begegnung hat Bühnenbildnerin Hella Prokoph in bedrängendem Minimalismus gestaltet: ein weiß gekachelter Gang, künstliches Licht, kein einziges Möbelstück und keine Hand voll Requisiten. Die drei Männer werden zurückgeworfen auf das Ureigentliche ihres Konflikts. In dem geht es nicht um Besatzer und Nationalstolz, nicht um Dschihad, nicht um Westjordanland oder Gaza-Streifen. Vielmehr geht es um Treue, Verrat und Schuld, um Liebe, Hass und um die Wahrheit. Hatsors Stück, getilgt um einige Ortsnamen, könnte überall spielen, wo um die vermeintlich gerechte Sache gekämpft wird, überall wo gilt: Wer nicht für uns ist, ist gegen uns.

Neben dem vielseitigen Thomas Peters (Naim) standen gleich zwei Neuzugänge auf der Bühne. Robert Arnold, (Da’ud) der zuletzt am Tourneetheater Eurostudio Landgraf und am Nationaltheater Mannheim engagiert war, lieferte sich mit Peters ein starkes, ebenbürtiges Duell. Unter der Regie von Frank Siebenschuh balancieren die beiden auf dem schmalen Grat zwischen Zuneigung und Verachtung, wollen sich gleichzeitig festhalten und wegstoßen. In diesem Bruderkampf hat Markus Baumeister, der vom Theater Oberhausen kommt, bei seinem Augsburger Debüt eine schwierige Rolle auszufüllen: Khaled, der jüngere Bruder, der nur eines der vielen Opfer der Auseinandersetzung ist und der dem Konflikt so hilf- und sprachlos beiwohnt, wie Kleinkinder auf dem Treppenabsatz dem Ehekrach der Eltern. Denn „Vermummte“ sind nicht die Kämpfer, es sind die Opfer, die sich aus Selbstschutz zu verhüllen versuchen und Opfer sind sie alle. Die Intifada findet in den Köpfen statt.

Frank Siebenschuh verzichtet in seiner Inszenierung auf Verfremdung, Ironie oder Modernisierung und produziert mit radikaler Reduzierung etwas auf der Bühne selten Gewordenes, nämlich Glaubwürdigkeit. Nach intensiven, beklemmenden und spannenden eineinhalb Stunden, war das Publikum deshalb mitgenommen, aber begeistert. Vielleicht spricht sich das herum, denn die Ränge waren bei der Premiere vermutlich aus Furcht vor dem sperrigen Stoff bestenfalls zu zwei Dritteln gefüllt.

Bayerische Staatszeitung 6. Oktober 2006 von Hans Peter Plocher

Der Hass macht eine Verschnaufpause

Premiere im Theater Augsburg: „Vermummte“ von Ihan Hatsor Mitten ins Herz seines diesjährigen Spielplanmottos „Wir. Terroristen“ traf das Theater Augsburg mit der Premiere von Vermummte, eines emotional aufgeheizten und tragisch endenden Beziehungsdramas zwischen drei palästinensischen Brüdern im Umfeld der Intifada von 1990.
Ihan Hatsor, der Autor, ist gebürtiger Israeli. Keineswegs unter Verharmlosung der Problematik lenkt er den Blick auf das leidensgetränkte Seelenleben seiner Personen und verordnet damit dem Hass, der zwischen den Bombenwerfern wuchert, zumindest eine vorübergehende Auszeit. Dass schließlich doch alles so bleibt, wie es war und sich damit auch jedes verkitschte happy end verbietet, entspricht der Realität.

Im Mittelpunkt stehen drei junge Männer, die sich mit der Wirklichkeit im verminten Gelände zurecht finden müssen. Das Schauspiel Augsburg greift dabei auf zwei Neuerwerbungen zurück, die man nach diesem brisanten Politkrimi auf der Habenseite verbuchen kann. Markus Baumeister spielt Khaled mit einer glaubhaften Mischung aus bockigem Trotz und nervös explodierendem Fanatismus. Robert Arnold in der Rolle des Daud, der als Tellerwäscher in Tel Aviv sein Geld verdient, beginnt als machomäßig aufgemotzter Sunnyboy, der nur in Ruhe sein Zigarettchen rauchen und seine kleine Familie durchs Leben schippern will. Nachdem er als Kollaborateur enttarnt wird, verwandelt sich sein cooles Gehabe in eine Mischung aus schmutziger Scham und erbärmlicher Hilflosigkeit. Der ihn mit brachialer Gewalt zwingt, sich zu outen, ist Naim. Thomas Peters spielt den Kommandoführer mit abgebrühter Nüchternheit und brutaler Härte, hinter der sich jedoch wie bei allen Beteiligten Krater einer bis auf die Knochen abgefressenen Menschlichkeit auftun.
Über den Trümmern dieser Familien- und Kriegsgeschichte wehen dunkle Schwaden verbrannter Humanität.

Regisseur Frank Siebenschuh, der sich nicht zum ersten Mal als Meister psychologischer Ziselierung erweist, verlegt das Geschehen, bildkräftig unterstützt von Ausstatterin Hella Prokoph, in ein von oben bis unten mit verdreckten Kacheln bestücktes Schlachthaus-Ambiente. Mitunter quälend lange Pausen, in denen das Stück still zu stehen scheint, animieren das Gefühl der Ausweglosigkeit. Anhaltender Applaus für ein Lehrstück. Der Hass macht eine Verschnaufpause.