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Bluthochzeit


(Bühnenbild)
Regie: Brit Bartkowiak
Kostüme: Julia Ströder
Musik: Adrian Sieber
Premiere: 13.05.2017
Theater Würzburg


Nachtkritik 13.05.2017, von Christian Muggenthaler

Der Schmerz gewinnt immer

Brit Bartkowiaks figurenstarke Lorca-Inzenierung in Würzburg

Blutrache, starre Normen, strenger Katholizismus. Religion und Traditionen, die nicht für Würde und Mitmenschlichkeit stehen, sondern für rituelle Hartherzigkeit und Scharfkantigkeit. Menschen, denen das Althergebrachte nicht zur möglichen moralischen Leitplanke, sondern gleich zum Gefängnis wird. Und wenn eine einen Ausbruch wagt, einen Hauch Leidenschaft spürt oder gleich einen ganzen Sturm, dann reisst sie vielleicht kurz mal eine ganze Welt ein, aber selbst deren Ruinen sind noch viel kräftiger als sie und tun weh. Auf jeden Fall gewinnt immer der Schmerz.

Gezüchtete Mutter-Rache
Es ist eine archaische Welt, von der Federico Garcia Lorca in seinem Stück „Bluthochzeit“ erzählt, eine dörfliche Welt aus seinem heimatlichen Granada der 1930er Jahre, aber es ist auch eine zeitlos menschliche, obzwar eine mehr unmenschliche als mitmenschliche. Diese Menschenkraft, diese Menschenwucht lässt sich jetzt erspüren in Brit Bartkowiaks dynamischer, fein durchrhythmisierter, figurenstarker und dichter Inszenierung des Stoffs am Mainfrankentheater Würzburg. Die Geschichte um eine Braut, die am Tag ihrer Hochzeit lieber dem verliebten armen Teufel Leonardo als dem reichen, braven Bräutigam folgt und auf diese Weise großes Unglück auslöst, dehnt und reckt sich auf dieser Bühne höchst ansehnlich und eindringlich.
Denn schnell wird klar, dass hinter dem Alltag Monster hausen, sich das Jenseits in alptraumhafter Nachbarschaft zum Diesseits erstreckt. Die Mutter des Bräutigams züchtet ihren Hass, weil jene Familie, der auch der verdächtige Leonardo entstammt, ihren Mann und einen ihrer beiden Söhne ermordet hatte. Aus einem mit Hass und Blut und Jenseitsrache gedüngten Boden aber kann nichts Gutes werden. Die Bühne (von Hella Prokoph) unterstreicht ebenso einfach wie bildstark diese Doppelbödigkeit, indem ein Lattenzaun die Bühne durchschneidet, vor der das Geschehen sich abspielt, hinter dem jedoch sehr präsent und sichtbar der Tod sein Reich hat.

Bittere Polonaise
Im schlussendlichen dritten Akt, in der Jagd nach der Braut und ihrem Entführer, fällt die Wand. Menschen verirren sich in dieses Totenreich und müssen sterben, leiden. Hier erreicht das Geschehen seinen endgültigen, kräftigen Blutpuls. Aber da rast nichts wild und exzentrisch, sondern flirrt in streng akzentuiertem Atem: Alles Geschehen wirkt hoch konzentriert zusammen, um den Text zu entdecken, seine brutale Bitterkeit und zugleich seine milde Menschlichkeit. Adrian Siebers am Bühnenrand gespielte elektrische Gitarre setzt rhythmische Zeichen, die Kostüme von Julia Ströder halten das Gleichgewicht zwischen alt-spanischen Anklängen und heutigem Gepräge, und die Darsteller zeigen überzeugend durchstrukturierte, klare Figuren.
Das beginnt bei Anja Brünglinghaus als Mutter, die in aristokratischer Strenge als Glucke des Unglücks firmiert. Bastian Beyer ist ihr Sohn: brav, bieder, lieb, aber erst als Rachsüchtiger kommt er praktisch bei sich selbst an. Helene Blechinger ist eine Braut, die immer aufrecht ihren Gang geht, auch wenn er ihr selbst womöglich ein Rätsel bleibt. Sehr in den Mittelpunkt – als einzige Figur reiner Mitmenschlichkeit im Stück sinnvoller Weise – spielt sich Lea Sophie Salfeld als Dienstmädchen, sie gewinnt ihrer Rolle in all der Tragik auch komische Seiten ab. Martin Liema als unverdrossener Leonardo, Hannah Walther als dessen seelisch zerschrundete Frau, Maria Brendel als leidenschaftliche Hiobsbotschafterin und Meinolf Steiner als fast ein bisschen spleeniger Brautvater vervollständigen ein Ensemble, das einen kraftvollen Abend garantiert.

Main-Echo, 16.05.2017

Stunde der Rache

Wieder ist die Stunde des Blutes gekommen. Zwei Parteien. „Ich mit den Meinen, Du mit den Deinen“, spricht die Mutter mit Grabesstimme und Hassfunkeln in den Au­gen. Für sie ist es der unabänderliche Lauf der Dinge. Zu tief eingebrannt hat sich der Wunsch nach Rache, zu festgefahren sind die gesellschaftlichen Strukturen. Wie im Italo-Western begleitet Gitarrist Adrian Siebers das Bühnengeschehen mit melodramatischen Klangteppichen, die sich zwischen scheinbarer Hochzeitsidylle und archaischen Gefühlen bewegen.
Mit der Tragödie »Bluthochzeit« von Federica Garcia Lorca (1898 bis 1936) ist am Mainfranken-Theater Würzburg nun das letzte Schauspiel der Spielzeit zu sehen. Das Publikum erlebt in Regie von Brit Bartkowiak 90 dichte Minuten, die sich um den Zwang der Konventionen, um den Drang nach freiheitlicher Entscheidung und um die Frage drehen, wie weit Menschen bereit sind, zu gehen.
Angesiedelt hatte Lorca sein Stück im ländlichen Andalusien zu Beginn des 20. Jahrhunderts und viel Autobiografisches verarbeitet: Aufgewachsen in einer spanischen Provinzstadt war er selbst konfrontiert mit eingefahrenen Gesellschaftsstrukturen und Traditionen.

Grenzen individueller Freiheit
Auch er geriet an die Grenzen der individuellen Freiheit, machte seine homosexuelle Neigung erst spät öffentlich. Die Inspiration zu »Bluthochzeit« lieferte Lorca ein Mordfall in der Provinz Almeria. Auch hier war eine Braut am Hochzeitstag mit dem Geliebten vor dem Bräutigam geflüchtet. »Bluthochzeit« erzählt nun diesen Konflikt zweier Liebender vor dem Hintergrund einer Blutfehde der Familien.
Bartkowiak inszeniert, fein dosiert, in der effektreichen Ästhetik eines ltalo-Westerns. Die Liebenden schwelgen in Zeitlupe. Während sich das echte Szenario an die Kameraeinstellung der Supertotalen anlehnt, sieht man im gefilmten Hintergrund das Paar in schwarz-weißer Nahaufnahme. Das Bühnenbild teilt die Szenerie durch einen hohen Holzzaun. Davor spielt sich das reale Leben der Protagonisten wie inszeniert ab. Dahinter blitzen immer wieder die archaischen Gefühle, die Urängste wie böse Geister auf.
Dann – mit der Stunde des Blutes, als der Hass siegt – reißen die Akteure den Zaun ein und schreiten wie uralte Gestalten ins neblige Schwarz und eine andere, archaische Zeit, um Blutrache zu fordern.
Gelungene Interpretation
Das Bühnengeschehen tragen vor allem die Frauen. Helene Blechinger zeichnet als Braut sehr feinfühlig das Bild einer Frau, die zwischen Vernunft und Emotion zerrissen wird, die zwischen dem Drang nach Freiheit und konventionellen Zwängen untergeht. Als hervorragende Besetzung erweist sich Anja Brünglinghaus als Mutter, die fast schon schizophren anmutend ihren Hass zu unterdrücken versucht. Für einige humorvolle Momente sorgt Lea Sophie Salfeld als Dienstmädchen und Vertraute der Braut. Gleichzeitig hochemotional: ihre Version des Songs »Mad world«. Bluthochzeit« ist eine gelungene, sehr zeitgemäße Interpretation der Lorca-Tragödie. Mit gut dosierter Effektdichte erschafft sie ein Sinneserlebnis, lässt das Publikum 90 Minuten den Atem anhalten und konzentriert sich auf zeitgemäß-zeitlose Fragen. Gute Abendunterhaltung mit Niveau.

Fränkische Nachrichten, 18.05.2017

Zwischen Gefühl und Vernunft

Hinter mannshohen Holzpalisaden sind schattenhaft die Umrisse von vorbeiziehenden, gebetsmühlenartig das „Ave Maria“ wiederholenden Prozessionsteilnehmern zu sehen. Im düsteren Licht auf einer kargen Bühne stehen auf dem mit Holzschnitzeln bedeckten
Bühnenboden zwei einsame Klappstühle. Mit diesem Eingangsbild beginnt am Mainfranken Theater Würzburg Federico Garda Lorcas Tragödie „Bluthochzeit“, die 1933 in Madrid uraufgeführt wurde.

Restriktive Moral
Angeregt wurde der Autor zu diesem ersten Stück einer sogenannten Bauerntrilogie durch den Zeitungsbericht über eine Hochzeitsgesellschaft, die auf der Suche nach der verschwundenen Braut auf die Leiche deren Vetters stieß. Lorcas Theaterstück, das in der Franco-Diktatur nicht mehr aufgeführt werden durfte, eroberte nach der Aufführung 1944 in Zürich vor allem die deutschsprachigen Bühnen.
Wie in den beiden anderen Stücken geht es um die Stellung der Frau im ländlichen Spanien der 30er Jahre, den Widerspruch zwischen Gefühl und Vernunft sowie zwischen der freien Selbstbestimmung und der traditionell restriktiven Moral. Erzählt wird die Geschichte einer jungen Braut, die sich auf einem abgelegenen Weingut im kargen Andalusien gegen eine traditionell arrangierte Ehe wendet, am Hochzeitstag mit ihrem früheren Verlobten Leonardo flieht, obwohl dieser schon Frau und Kind hat.
Damit entflammt sie eine alte Fehde der Familien aufs Neue. Denn Leonardo ist ein Sohn der Familie Felix, die von der Mutter des Bräutigams für den Tod ihres Mannes und des zweiten Sohnes bei einer Blutrache verantwortlich gemacht wird. Als die Flucht entdeckt wird, endet das Hochzeitsfest im Chaos. Der Bräutigam verfolgt mit Helfern die Flüchtigen. Im Zweikampf kommen er und Leonardo ums Leben. Zurückbleiben untröstliche Familien.
Den stärksten Eindruck hinterlässt in der Würzburger Inszenierung Anja Brünglinghaus als besorgte Mutter, die im ersten Bild unversöhnlich ihren Hass auf die Mörder ihres Mannes und Sohnes artikuliert, die nach Messerstichen starben. Mit ihrer Wut auf das Messer als männliches Mordinstrument beginnt das Stück und endet auch mit der tödlichen Messerstecherei zwischen ihrem Sohn und Leonardo. Schon ihre Körperhaltung verrät die stolze Bäuerin, die den Lebensraum der Frau im Hause sieht; geradezu derb unterzieht sie ihre künftige Schwiegertochter einer Prüfung. Ihre Skepsis äußert sie unverhohlen, will aber dem Glück ihres Sohnes nicht im Wege stehen.
Doch dem Standesdenken bleibt sie verhaftet. Bastian Bayer verkörpert den tüchtigen, aber farblosen und in Liebesdingen unerfahrenen Sohn mit nachvollziehbarer Reserviertheit, die mit der Flucht seiner Frau in Aggressivität und Rachegelüsten umschlägt. Bauernschläue und die Redlichkeit eines harten Arbeiters, der es zu Wohlstand gebracht hat, vermittelt Meinolf Steiner als Vater der Braut.
Recht undeutlich gezeichnet wirkt die Rolle der Braut, die Helene Blechinger mit unterdrückter Emotionalität spielt, als sei sie ständig auf der Flucht. Eine starke Geste ist der Wegwurf der ihr angesteckten Orangenblüte beim Ankleiden vor der Hochzeit.

Starke Frauenfiguren
Lorca lässt ausnahmslos die Frauenfiguren stark erscheinen; so werden Hannah Walther als Dienstmädchen mit einem Schuss Komik, Lea Sophie Salfeld als Leonardos Frau mit Kleinkind und vor allem Maria Brendel als redselige und besorgte Nachbarin mit ihren sympathischen Auftritten fast schon zu Identifikationsfiguren, die man sonst im Stück vergeblich sucht. Regisseurin Brit Bartkowiak rückt schnörkellos mit nur acht Schauspielern ohne allegorische Figuren wie den Tod als Bettler oder den personifizierten Mond ganz die Hochzeitsfeier in den Mittelpunkt. Ohne die surrealen Elemente wird die Inszenierung der poetischen Qualität des Stücks jedoch nicht ganz gerecht. Umso eindringlicher wird dafür das Drama einer unerfüllten Liebe vor Augen geführt, die an den Mauern der herrschenden Moral, den Konventionen einer ländlichen Bauerngesellschaft und der sexuellen Fremdbestimmung zerschellt. Starke Momente sind die das Unheil längst verkündenden makabren Hochzeitstänze mit Totenkopf-Masken, der Fall der Palisadenwand als Auftakt zur Treibjagd auf die Geflüchteten und der Scheiterhaufen. Statt im zeitlosen Bühnenbild von Hella Prokoph oder den Kostümen von Julia Ströder wird das ländliche Spanien wirkungsvoll von Adrian Siebers mit traditioneller spanischer Folkloremusik imaginiert. Das Premierenpublikum zeigte sich angetan und applaudierte allen Mitwirkenden ohne Einschränkung.