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Michael Kohlhaas


(Bühne)
Schauspiel nach einer Novelle von Heinrich von Kleist
Inszenierung und Textfassung: Katja Langenbach, Kostüme: Annelies Vanlaere, Musik: Roderik Vanderstraaten
Theater St.Gallen, Lokremise, Premiere: 16.04.2012




Südkurier, 21.04.2012 von Peter E. Schaufelberger

Schrei der Verzweiflung

In der Lokremise zeigt das Theater St. Gallen eine ebenso stimmige wie beklemmende Dramatisierung von Kleists Novelle „Michael Kohlhaas“.

Die weit offene Spielfläche in der St. Galler Lokremise ist von Brandtrümmern übersät, drei ausgebrannte Autos stehen herum. Skelette von Statussymbolen eines verhassten Herrschaftssystems, Zeugen zugleich einer blinden Zerstörungswut, in die berechtigter Protest und begründeter Widerstand gegen Korruptheit, gegen staatliche und, gesellschaftliche Verfilzung, gegen Unterdrückung und Verfolgung immer wieder ausarten. Damals, in der Zeit, als der ehrbare Pferdehändler Michael Kohlhaas mit seinen Kumpanen plündernd, brandschatzend, mordend durch das Land zog und sich so jene Gerechtigkeit und Wiedergutmachung erzwingen wollte, die ihm zuvor wider alles Recht verweigert worden waren. Und nicht anders heute: in verwahrlosten Vorstädten, wo die Menschen genug haben von bloßen Versprechungen der Herrschenden; in Ländern, in denen Willkür, hemmungslose Gier der Mächtigen, Polizeigewalt und Klüngelwirtschaft Revolten auslösen.

Im Bühnenbild von Hella Prokoph, in der zwischen leisen Gitarrenklängen und harten heutigen Rhythmen hin und her springenden Musik von Roderik Vanderstraeten, vor allem aber in Katja Langenbachs dramatischer Bearbeitung und Inszenierung der Novelle Michael Kohlhaas“ von Heinrich von ICleist sind damals und heute gleichermaßen gegenwärtig. Die Sprache Kleists ist da in
erzählenden Passagen, die sich übergangslos einfügen in gespielte Szenen, beklemmende Zuspitzungen kippen bisweilen ins Absurde hinüber, ein kleiner ner Schritt nur ist’s manchmal von übersteigerter Groteske in abgrundtiefe Verlorenheit.
Doch diese Verknüpfung von heute und damals wirkt in keinem Augenblick erzwungen oder gar aufgesetzt: Katja Langenbach erzählt die zwangsläufig gerafften Ereignisse der Novelle im Rückblick, überträgt sie in Spielszenen, in denen nicht die Akteure des eigentlichen Geschehens auftreten, sondern Kumpane des Michael Kohlhaas. Sie schlüpfen bald in diese, bald in jene Rolle, wechseln die Seite, wie es sich aus dem Fortgang der Geschehnisse ergibt, sind bald unmittelbar Beteiligte, die aus
eigenem Erleben heraus berichten, bald die Gegenspieler von Kohlhaas, die sie nur aus den Schilderungen ihres Anführers kennen und bisweilen entsprechend überzeichnen.

Ausgenommen von diesem Rollentausch ist nur Kohlhaas selber, auch er zwar von einem seiner Kampfgefährten gespielt, doch zusehends hineinwachsend in die vielschichtige Gestalt dieses Mannes, der sich hineinsteigert in einen alles zerstörenden Gerechtigkeitswahn. Packend, wie Alexandre Pelichet die Verwandlung dieses Menschen nachzeichnet, ihn schrittweise aus der Rechtschaffenheit des Recht und Gesetz Vertrauenden hinausführt in die schiere Verzweiflung, aus der ihm die gewalttätige ICraft
für seine Untaten erwächst. Doch im Hintergrund bleibt der Mensch spürbar, der in seinem Innersten verwundet worden ist. Überaus stark auch Hanna Binder in mehreren Rollen; berührend etwa als sterbende Frau des Kohlhaas, noch intensiver allerdings als weibischer Kurfürst, grotesk aufgemotzt und stimmlich überdreht eine zunächst trottelig erscheinende Figur, die jedoch, nachdem Kohlhaas das ihr von einer Wahrsagerin geschenkte Amulett verschluckt hat, in eine zutiefst beklemmende Verrücktheit
verfälltund sich, als vvätäri es Süsse Liebkosungen, die grauenvollsten und abwegigsten Torturen für den Rebellen ausdenkt. Romeo Meyer und Julian Sigl gelingt es, trotz ihrer vielen Rollen- und Seitenwechsel immer wieder einprägsame Akzente zu setzen Sigl etwa als Martin Luther, der versucht, Kohlhaas von seinen Wahnvorstellungen abzubringen, Meyer namentlich als Knecht des
Pferdehändlers. Alle aber tragen sie bei zu einer äußerst dichten Realisierung dieser dramatischen Umsetzung eines zutiefst verstörenden Werks.