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Ödipus Stadt
Noahs Flut
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Prinz Friedrich von Homburg
Mein junges idiotisches Herz

Ödipus Stadt


(Bühnenbild)
Schauspiel von John von Düffel nach Sophokles, Euripides und Aischylos
Regie: Katja Langenbach, Kostüme: Petra Winterer, Musik: Roderik Vanderstraeten
Theater St.Gallen
Premiere: 28.05.2014


Südkurier 03.06.2014 von Peter E. Schaufelberger
Der unentrinnbare Fluch einer Familie

In einer überaus dichten Inszenierung von Katja Langenbach zeigt das Theater St. Gallen John von Düffels Schauspiel „Ödipus Stadt“.
Eisentreppen, Gitterroste, Röhrengestänge, spärliche, ebenfalls metallene Möblierung – das Bühnenbild, das Hella Prokoph im Theater St. Gallen in die Höhe wie in die Tiefe gebaut hat, ist in seiner Kälte und seinen labyrinthischen Verschachtelungen Abbild der menschlichen Verstrickungen in „Ödipus Stadt“ von John von Düffel. Vier griechische Tragödien – zwei von Sophokles, je eine von Aischylos und Euripides – hat der Autor in seinem dreiaktigen Schauspiel konzentriert zur düsteren Chronik eines fluchbeladenen Geschlechts – Sprachduktus und weitgehend die Versform wahrend, doch die weitläufig geschilderten Handlungsstränge verknappend; die oft ausgreifenden und von kaum mehr verständlichen Verweisen auf damals geläufige Zusammenhänge durchsetzten Kommentare des Chors hat von Düffel durchwegs gestrichen.

Katja Langenbach nimmt einige Chortexte wieder auf, verfremdet gesprochen über Mikrofone und von Roderik van der Straeten musikalisch getragen. Atempausen sind’s in der atemlosen Unerbittlichkeit, mit der sich die Verhängnisse jagen, Momente nur vor dem Einbrechen kommenden Unheils, das manchmal aus verhaltener Drohung heraus anschwillt, manchmal mit brutaler Direktheit die Menschen aufpeitscht – so etwa in der Auseinandersetzung zwischen den Brüdern Eteokles und Polyneikes, in welcher der Ältere jeden Satz, den er dem Jüngeren entgegenschleudert, mit wüsten Trommelschlägen markiert. Der Schrecken hat viele Töne in dieser Inszenierung, welche die Texte genau aushorcht und mit allen Sinnen erfahrbar macht.

Diese Vieltönigkeit und Differenziertheit überträgt sich auch aufs ganze Ensemble. Beklemmend, wie Oliver Losehand sich als Ödipus hineinsteigert in den unglücklichen König, dem Schritt um Schritt die Wahrheit sich erschließt, verzögert immer wieder durch kleine Schimmer einer Hoffnung, dass die zu Gewissheiten sich verdichtenden Bruchstücke der Wahrheit doch nicht wahr sein könnten, bis schließlich kein Zweifel mehr möglich ist, das Entsetzliche sich erbarmungslos darstellt. Durchdringend sein Schreien, wenn das Blut aus seinen durch ein Tuch hindurch zerstochenen Augen quillt. Gespenstisch und doch beängstigend gegenwärtig, wenn er sich stumm wieder einmischt später, seinem dunklen Verlies für kurze Zeit entweichend.

Oder Christian Hettkamp als blinder Seher Teiresias, verwahrlost in seinem Äußern, das er selbst nicht zu sehen vermag. Gleichwohl ist er furchtloser Verkünder dessen, was ihm ein Gott offenbart, obwohl er zurückschreckt vor den Abgründen, die seine Botschaft aufreißt. Von beinah befremdlicher Korrektheit ist zunächst Marcus Schäfer als Kreon, ahnend mehr als wissend, bis er schließlich sich selber aufschwingt zum Herrscher, selber sich fängt in Fallen der Macht und herrscherlicher Überheblichkeit und nicht mehr hinausfindet.

Silvia Rhode als Iokaste, unwissende Mutter und Gattin des Ödipus, mütterlich vermittelnd, doch dem Verhängnis ebenso ausgeliefert wie die andern Glieder der Familie. Eindringlich in ihrer Verschiedenheit auch Sven Gey als Eteokles und Julian Sigl als Polyneikes: kalt und herrisch der eine, ältere, allein auf seinen Vorteil bedacht, entschieden in seinem Drängen auf Einhaltung der zwischen den Brüdern getroffenen Abmachung auf jährlichen Wechsel der Königswürde der Jüngere, weicher zwar in seinem Wesen, dennoch bereit, seine Ansprüche auch mit Waffengewalt durchzusetzen. Sigl, Gey und Hettkamp spielen zudem Wächter- und Botenrollen.

Bleiben das Schwesternpaar Antigone (Danielle Green) und Ismene (Wendy Michelle Güntensperger) sowie Haimon (Luzian Hirzel), der mit Antigone verlobte Sohn Kreons. Unbeugsam die ältere der beiden Schwestern, selbst um den Preis des Lebens entschlossen, Polyneikes Leichnam zu bestatten und sich damit dem strengen Befehl Kreons zu widersetzen, wonach nur dem ebenfalls im Bruderkampf gefallenen Eteokles ein ehrenvolles Begräbnis zuteil werden soll.
Weicher, nachgiebiger erscheint Ismene, vereint zwar in der Trauer mit ihrer Schwester und im Tod sich ihr zugesellend, doch als Einzige hellsichtig genug, zu erkennen, dass aus dem Handeln Antigones nur weiteres Unheil entstehen würde. Haimon dagegen, in seiner Korrektheit scheinbar Abbild seines Vaters in jüngeren Jahren, entlarvt dessen selbstherrliches Gebaren und konfrontiert ihn mit dem Aufruhr im Volk; er geht mit Antigone und Ismene in den Tod und lässt den König in seinem Elend zurück.

St.Galler Tagblatt 30.05.14 von Valeria Heintges
Splatter, Aktion und Intrigen

Besser als manche Familien-Polit-Serie: Im Theater St.Gallen inszeniert Katja Langenbach John van Düffels Antikenfassung “Ödipus Stadt” rasant, einfallsreich und sehr genau auf einem imposanten Stahlgerüst.

Zu Beginn sind sie alle Kammerjäger, räuchern die Stadt aus, wollen das Ungeziefer mit Rauch und Sprühnebel vertreiben. Denn Theben wird von der Pest heimgesucht. Aber das Übel sitzt tiefer. Oder höher: Auf dem Königsthron nämlich, wo Ödipus herrscht, seit er lokaste heiratete. Mit Ödipus kam das verfluchte Geschlecht der Labdakiden nach Theben; Ödipus zeugte vier Kinder und gemeinsam werden Vater, Söhne und Töchter die Stadt in den Ruin reiten.

Vier Dramen in einem
So jedenfalls will es die antike Mythologie, so wollen es die frühesten Dramatiker Aischylos, Sophokles und Euripides. Vier ihrer Dramen hat der Dramaturg und Buchautor John von Düffel in eine einzige Fassung gebracht, die am Mittwochabend im Theater St. Gallen ihre Schweizer Erstaufführung erlebte.
Nicht mehr Ödipus oder seine Söhne Eteokles und Polyneikes oder seine Töchter Antigone und Ismene stehen bei John von Düffel einzeln im Fokus. Vielmehr wird an einem Abend die Geschichte einer Familie erzählt, die sich von Generation zu Generation tiefer ins Unglück bringt und doch auch immer wieder Menschen mit Charakter hervorbringt, mit Ecken und Kanten, stolz, hochmütig, aber auch schlau und mutig.

Rasante Aufstiege und Abstürze
In St. Gallen hat Bühnenbildnerin Hella Prokoph für Regisseurin Katja Langenbach ein imponierendes, dreistöckiges Stahlgerüst auf die Bühne ge¬stellt, in dem die Aufstiege und die Abstürze der Menschen sinnfällig gezeigt werden können und das sich gleichzeitig mit Leitern, Treppen und sogar einer Dusche als sehr gut bespielbar erweist. Inklusive ebenfalls dreistöckigem Etagenbett und einem Schlagzeug, das gelegentlich übel malträtiert wird und als Wutventil dient, gibt das schnelle Auftritte. Die verleihen dem ohnehin sehr gestrafften Text Tempo und lassen ihn trotz drei Stunden Spiellänge inclusive Pause nie langweilig werden.
Regisseurin Langenbach führt ihre Schauspieler streng und genau durch das Geschehen: Oliver Losehand ist Ödipus, der nach und nach feststellen muss, dass sich das Orakel bewahrheitet hat, das ihm den Mord an dem Vater und die Ehe mit der Mutter voraussagte. Zunächst ist er unwissend, aber dann dämmert ihm das Ausmass des Schreckens und Losehand wird vom arroganten Machthaber zum verzweifelten Wahnsinnigen.

Der Fels in der Brandung
Silvia Rhode stellt als lokaste dem die geerdete, realistische Frau und Mutter gegenüber, die als Fels in der Brandung immer wieder Streit zu schlichten ver¬sucht. Langsam verliert auch sie ihre Kraft: Der Gatte ein Mörder, die Kinder seine Geschwister. Als sich im zweiten Teil ihre Söhne Eteokles und Polyneikes aus reiner Gier um die Macht streiten, versucht sie wieder, jetzt nicht mehr in Königinnenrobe sondern im Kriegsmantel, zu schlichten. Doch die Brut ist besessen: Als Eteokles und Polyneikes ihre Heere aufeinanderhetzen und dann als alles schon vorbei sein könnte sich gegenseitig im Duell umbringen, sieht die Mutter die Lösung nur noch im Selbstmord.
Und zwischen all dem ist Kreon, Iokastes Bruder. Petra Winterer hat Marcus Schäfer in einen Anzug mit Krawatte gesteckt. Denn er ist der Organisator, der Verwalter, der Strippenzieher, derjenige, der sich nicht die Finger dreckig machen will und doch Unheil stiftet.

Der perfekte Vollblutpolitiker
Als ihm der Seher Teiresias (Christian Hettkamp als Guru mit Gummikörper) offenbart, dass nur der Tod des eigenen Sohnes die Stadt retten kann, sackt sein Körper kurz zusammen. Typische Kreon Lösung: Der Sohn muss fliehen. Als Menoikeus dennoch tot vor ihm liegt, weil er selbst Opfer sein wollte, scheint Kreon gebrochen. Aber nein: Schon den Tod von Eteokles, Polyneikes und Iokaste nimmt er nur mit einem staubtrockenen «Ja, schrecklich» entgegen bindet sich die Kette des Herrschers um und schwingt eine Seifenblasen Rede ans Volk. Längst ganz der perfekte Vollblutpolitiker.

Machtgier gegen echten Mut
Für die Macht geht er über Leichen. Antigone will beide Brüder bestatten – denn nur so können sie in die Totenwelt gelangen. Kreon verbietet ihr das für Polyneikes. Im dritten Teil, dem Antigone Drama, krachen mit Kreon und einer wunderbar frisch und glaubhaft wirkenden Danielle Green als Antigone kalte Machtgier und schiere Lebenslust, gepaart mit echtem Mut, aufeinander. Kurzfristig gewinnt die Macht. Doch dann tauchen die Geister der Vergangenheit wieder auf.
Ein Abend, spannend wie ein Krimi, der jede Familien Politserie an Action und Splatter Elementen übertrifft. Das Publikum zeigte sich sehr beeindruckt.

sda 29.05.2014 von Silvia Minder
Blutspur als roter Faden durch „Ödipus Stadt“

Schweizer Erstaufführung am Theater St. Gallen
Wie ein roter Faden zieht sich eine Blutspur durch „Ödipus Stadt“. So tragisch die Geschichte aus der griechischen Mythologie, so begeistert zeigten sich die Gäste an der Schweizer Erstaufführung am Mittwoch im Theater St. Gallen.
John von Düffel hat in seiner modernen Bearbeitung die Tragödien der grossen drei antiken Schriftsteller Sophokles, Euripides und Aischylos zusammengefasst. Der 1966 geborene Dramaturg und Autor macht aus dem Mythos um König Ödipus und seine Kinder eine Familiensage.
Die Theben Trilogie, wie der Autor sie nennt, ist zwar eine blutrünstige, in ihrer Aussagekraft jedoch aktuelle Geschichte. Dies unterstreicht Katja Langenbach in der Schweizer Erstaufführung am Theater St. Gallen mit einer modernen Kulisse aus Metallgestängen. Die in kaltes Licht getauchte Szenerie lässt das Haus der Herrscherfamilie wie ein Gefängnis erscheinen. Denn Ödipus (Oliver Losehand) ist in seinem Schicksal gefangen. Wie vom Orakel vorausgesagt erschlägt er den eigenen Vater und zeugt mit seiner Mutter lokaste (Silvia Rhode) vier Kinder. Als er die Tragik des Vatermordes und Inzests erkennt, blendet er sich und überlässt die Herrschaft seinem Schwager Kreon (Marcus Schäfer).
Kreon beherrscht die Stadt und die Familie mit eiserner Faust und erbittet die Hilfe des Sehers Teiresias (Christian Hettkamp). Doch Teiresias sieht eine düstere Zukunft voraus. Ödipus ist mit dem Fluch der Götter behaftet. Weder er noch die Seinen entgehen ihrem Schicksal.

Dem Untergang geweiht
Ödipus‘ Söhne Eteokles (Sven Gey) und Polyneikes (Julian Sigi) töten sich gegenseitig. Ihre Schwestern Antigone (Danielle Green) und Ismene (Wendy Michelle Güntensperger) stürzen sich ins Verderben. Am Ende ist Ödipus Stadt dem Untergang geweiht. Wie schon bei den „Buddenbrooks“, die 2009 am Theater St. Gallen inszeniert wurden, erzählt Düffel auch diesmal eine Familiengeschichte. Es geht um Liebe und Rivalität, um Macht und Ohnmacht. Am Ende zerstört die Herrscherfamilie von Theben sich selbst und ihr ganzes Reich. Sie ist belegt mit einem Familienfluch, dem keiner entkommt.

Eine ganz normale Familie
Dass Ödipus‘ Familie auch eine ganz normale Familie ist, zeigt Regisseurin Katja Langenbach mit witzigen Details. Schliesslich braucht auch ein König Körperpflege. Also geht Ödipus unter die Dusche und zwar nackt, was bei den Premieregästen für einiges Schmunzeln sorgte. In einer andern Szene versucht lokaste die streitenden Brüder zu versöhnen und steckt jedem einen Beutel Limonade der Marke „Capri Sonne“ zu.

Schräge Töne
Die Kombination von klassischen Texten mit moderner Technik ist reizvoll, zumal die schauspielerische Leistung jederzeit tadellos ist. Doch wird der Klangteppich zeitweise etwas anstrengend. Einige Protagonisten lassen ihren ganzen Frust an der E Gitarre oder am Schlagzeug aus und produzieren so schräge Töne, dass sich manche Zuschauerin und mancher Zuschauer am liebsten die Ohren zuhalten würden


Südkurier 03.06.2014 von Peter E. Schaufelberger
Der unentrinnbare Fluch einer Familie

In einer überaus dichten Inszenierung von Katja Langenbach zeigt das Theater St. Gallen John von Düffels Schauspiel „Ödipus Stadt“.
Eisentreppen, Gitterroste, Röhrengestänge, spärliche, ebenfalls metallene Möblierung – das Bühnenbild, das Hella Prokoph im Theater St. Gallen in die Höhe wie in die Tiefe gebaut hat, ist in seiner Kälte und seinen labyrinthischen Verschachtelungen Abbild der menschlichen Verstrickungen in „Ödipus Stadt“ von John von Düffel. Vier griechische Tragödien – zwei von Sophokles, je eine von Aischylos und Euripides – hat der Autor in seinem dreiaktigen Schauspiel konzentriert zur düsteren Chronik eines fluchbeladenen Geschlechts – Sprachduktus und weitgehend die Versform wahrend, doch die weitläufig geschilderten Handlungsstränge verknappend; die oft ausgreifenden und von kaum mehr verständlichen Verweisen auf damals geläufige Zusammenhänge durchsetzten Kommentare des Chors hat von Düffel durchwegs gestrichen.

Katja Langenbach nimmt einige Chortexte wieder auf, verfremdet gesprochen über Mikrofone und von Roderik van der Straeten musikalisch getragen. Atempausen sind’s in der atemlosen Unerbittlichkeit, mit der sich die Verhängnisse jagen, Momente nur vor dem Einbrechen kommenden Unheils, das manchmal aus verhaltener Drohung heraus anschwillt, manchmal mit brutaler Direktheit die Menschen aufpeitscht – so etwa in der Auseinandersetzung zwischen den Brüdern Eteokles und Polyneikes, in welcher der Ältere jeden Satz, den er dem Jüngeren entgegenschleudert, mit wüsten Trommelschlägen markiert. Der Schrecken hat viele Töne in dieser Inszenierung, welche die Texte genau aushorcht und mit allen Sinnen erfahrbar macht.

Diese Vieltönigkeit und Differenziertheit überträgt sich auch aufs ganze Ensemble. Beklemmend, wie Oliver Losehand sich als Ödipus hineinsteigert in den unglücklichen König, dem Schritt um Schritt die Wahrheit sich erschließt, verzögert immer wieder durch kleine Schimmer einer Hoffnung, dass die zu Gewissheiten sich verdichtenden Bruchstücke der Wahrheit doch nicht wahr sein könnten, bis schließlich kein Zweifel mehr möglich ist, das Entsetzliche sich erbarmungslos darstellt. Durchdringend sein Schreien, wenn das Blut aus seinen durch ein Tuch hindurch zerstochenen Augen quillt. Gespenstisch und doch beängstigend gegenwärtig, wenn er sich stumm wieder einmischt später, seinem dunklen Verlies für kurze Zeit entweichend.

Oder Christian Hettkamp als blinder Seher Teiresias, verwahrlost in seinem Äußern, das er selbst nicht zu sehen vermag. Gleichwohl ist er furchtloser Verkünder dessen, was ihm ein Gott offenbart, obwohl er zurückschreckt vor den Abgründen, die seine Botschaft aufreißt. Von beinah befremdlicher Korrektheit ist zunächst Marcus Schäfer als Kreon, ahnend mehr als wissend, bis er schließlich sich selber aufschwingt zum Herrscher, selber sich fängt in Fallen der Macht und herrscherlicher Überheblichkeit und nicht mehr hinausfindet.

Silvia Rhode als Iokaste, unwissende Mutter und Gattin des Ödipus, mütterlich vermittelnd, doch dem Verhängnis ebenso ausgeliefert wie die andern Glieder der Familie. Eindringlich in ihrer Verschiedenheit auch Sven Gey als Eteokles und Julian Sigl als Polyneikes: kalt und herrisch der eine, ältere, allein auf seinen Vorteil bedacht, entschieden in seinem Drängen auf Einhaltung der zwischen den Brüdern getroffenen Abmachung auf jährlichen Wechsel der Königswürde der Jüngere, weicher zwar in seinem Wesen, dennoch bereit, seine Ansprüche auch mit Waffengewalt durchzusetzen. Sigl, Gey und Hettkamp spielen zudem Wächter- und Botenrollen.

Bleiben das Schwesternpaar Antigone (Danielle Green) und Ismene (Wendy Michelle Güntensperger) sowie Haimon (Luzian Hirzel), der mit Antigone verlobte Sohn Kreons. Unbeugsam die ältere der beiden Schwestern, selbst um den Preis des Lebens entschlossen, Polyneikes Leichnam zu bestatten und sich damit dem strengen Befehl Kreons zu widersetzen, wonach nur dem ebenfalls im Bruderkampf gefallenen Eteokles ein ehrenvolles Begräbnis zuteil werden soll.
Weicher, nachgiebiger erscheint Ismene, vereint zwar in der Trauer mit ihrer Schwester und im Tod sich ihr zugesellend, doch als Einzige hellsichtig genug, zu erkennen, dass aus dem Handeln Antigones nur weiteres Unheil entstehen würde. Haimon dagegen, in seiner Korrektheit scheinbar Abbild seines Vaters in jüngeren Jahren, entlarvt dessen selbstherrliches Gebaren und konfrontiert ihn mit dem Aufruhr im Volk; er geht mit Antigone und Ismene in den Tod und lässt den König in seinem Elend zurück.

St.Galler Tagblatt 30.05.14 von Valeria Heintges
Splatter, Aktion und Intrigen

Besser als manche Familien-Polit-Serie: Im Theater St.Gallen inszeniert Katja Langenbach John van Düffels Antikenfassung “Ödipus Stadt” rasant, einfallsreich und sehr genau auf einem imposanten Stahlgerüst.

Zu Beginn sind sie alle Kammerjäger, räuchern die Stadt aus, wollen das Ungeziefer mit Rauch und Sprühnebel vertreiben. Denn Theben wird von der Pest heimgesucht. Aber das Übel sitzt tiefer. Oder höher: Auf dem Königsthron nämlich, wo Ödipus herrscht, seit er lokaste heiratete. Mit Ödipus kam das verfluchte Geschlecht der Labdakiden nach Theben; Ödipus zeugte vier Kinder und gemeinsam werden Vater, Söhne und Töchter die Stadt in den Ruin reiten.

Vier Dramen in einem
So jedenfalls will es die antike Mythologie, so wollen es die frühesten Dramatiker Aischylos, Sophokles und Euripides. Vier ihrer Dramen hat der Dramaturg und Buchautor John von Düffel in eine einzige Fassung gebracht, die am Mittwochabend im Theater St. Gallen ihre Schweizer Erstaufführung erlebte.
Nicht mehr Ödipus oder seine Söhne Eteokles und Polyneikes oder seine Töchter Antigone und Ismene stehen bei John von Düffel einzeln im Fokus. Vielmehr wird an einem Abend die Geschichte einer Familie erzählt, die sich von Generation zu Generation tiefer ins Unglück bringt und doch auch immer wieder Menschen mit Charakter hervorbringt, mit Ecken und Kanten, stolz, hochmütig, aber auch schlau und mutig.

Rasante Aufstiege und Abstürze
In St. Gallen hat Bühnenbildnerin Hella Prokoph für Regisseurin Katja Langenbach ein imponierendes, dreistöckiges Stahlgerüst auf die Bühne ge¬stellt, in dem die Aufstiege und die Abstürze der Menschen sinnfällig gezeigt werden können und das sich gleichzeitig mit Leitern, Treppen und sogar einer Dusche als sehr gut bespielbar erweist. Inklusive ebenfalls dreistöckigem Etagenbett und einem Schlagzeug, das gelegentlich übel malträtiert wird und als Wutventil dient, gibt das schnelle Auftritte. Die verleihen dem ohnehin sehr gestrafften Text Tempo und lassen ihn trotz drei Stunden Spiellänge inclusive Pause nie langweilig werden.
Regisseurin Langenbach führt ihre Schauspieler streng und genau durch das Geschehen: Oliver Losehand ist Ödipus, der nach und nach feststellen muss, dass sich das Orakel bewahrheitet hat, das ihm den Mord an dem Vater und die Ehe mit der Mutter voraussagte. Zunächst ist er unwissend, aber dann dämmert ihm das Ausmass des Schreckens und Losehand wird vom arroganten Machthaber zum verzweifelten Wahnsinnigen.

Der Fels in der Brandung
Silvia Rhode stellt als lokaste dem die geerdete, realistische Frau und Mutter gegenüber, die als Fels in der Brandung immer wieder Streit zu schlichten ver¬sucht. Langsam verliert auch sie ihre Kraft: Der Gatte ein Mörder, die Kinder seine Geschwister. Als sich im zweiten Teil ihre Söhne Eteokles und Polyneikes aus reiner Gier um die Macht streiten, versucht sie wieder, jetzt nicht mehr in Königinnenrobe sondern im Kriegsmantel, zu schlichten. Doch die Brut ist besessen: Als Eteokles und Polyneikes ihre Heere aufeinanderhetzen und dann als alles schon vorbei sein könnte sich gegenseitig im Duell umbringen, sieht die Mutter die Lösung nur noch im Selbstmord.
Und zwischen all dem ist Kreon, Iokastes Bruder. Petra Winterer hat Marcus Schäfer in einen Anzug mit Krawatte gesteckt. Denn er ist der Organisator, der Verwalter, der Strippenzieher, derjenige, der sich nicht die Finger dreckig machen will und doch Unheil stiftet.

Der perfekte Vollblutpolitiker
Als ihm der Seher Teiresias (Christian Hettkamp als Guru mit Gummikörper) offenbart, dass nur der Tod des eigenen Sohnes die Stadt retten kann, sackt sein Körper kurz zusammen. Typische Kreon Lösung: Der Sohn muss fliehen. Als Menoikeus dennoch tot vor ihm liegt, weil er selbst Opfer sein wollte, scheint Kreon gebrochen. Aber nein: Schon den Tod von Eteokles, Polyneikes und Iokaste nimmt er nur mit einem staubtrockenen «Ja, schrecklich» entgegen bindet sich die Kette des Herrschers um und schwingt eine Seifenblasen Rede ans Volk. Längst ganz der perfekte Vollblutpolitiker.

Machtgier gegen echten Mut
Für die Macht geht er über Leichen. Antigone will beide Brüder bestatten – denn nur so können sie in die Totenwelt gelangen. Kreon verbietet ihr das für Polyneikes. Im dritten Teil, dem Antigone Drama, krachen mit Kreon und einer wunderbar frisch und glaubhaft wirkenden Danielle Green als Antigone kalte Machtgier und schiere Lebenslust, gepaart mit echtem Mut, aufeinander. Kurzfristig gewinnt die Macht. Doch dann tauchen die Geister der Vergangenheit wieder auf.
Ein Abend, spannend wie ein Krimi, der jede Familien Politserie an Action und Splatter Elementen übertrifft. Das Publikum zeigte sich sehr beeindruckt.

sda 29.05.2014 von Silvia Minder
Blutspur als roter Faden durch „Ödipus Stadt“

Schweizer Erstaufführung am Theater St. Gallen
Wie ein roter Faden zieht sich eine Blutspur durch „Ödipus Stadt“. So tragisch die Geschichte aus der griechischen Mythologie, so begeistert zeigten sich die Gäste an der Schweizer Erstaufführung am Mittwoch im Theater St. Gallen.
John von Düffel hat in seiner modernen Bearbeitung die Tragödien der grossen drei antiken Schriftsteller Sophokles, Euripides und Aischylos zusammengefasst. Der 1966 geborene Dramaturg und Autor macht aus dem Mythos um König Ödipus und seine Kinder eine Familiensage.
Die Theben Trilogie, wie der Autor sie nennt, ist zwar eine blutrünstige, in ihrer Aussagekraft jedoch aktuelle Geschichte. Dies unterstreicht Katja Langenbach in der Schweizer Erstaufführung am Theater St. Gallen mit einer modernen Kulisse aus Metallgestängen. Die in kaltes Licht getauchte Szenerie lässt das Haus der Herrscherfamilie wie ein Gefängnis erscheinen. Denn Ödipus (Oliver Losehand) ist in seinem Schicksal gefangen. Wie vom Orakel vorausgesagt erschlägt er den eigenen Vater und zeugt mit seiner Mutter lokaste (Silvia Rhode) vier Kinder. Als er die Tragik des Vatermordes und Inzests erkennt, blendet er sich und überlässt die Herrschaft seinem Schwager Kreon (Marcus Schäfer).
Kreon beherrscht die Stadt und die Familie mit eiserner Faust und erbittet die Hilfe des Sehers Teiresias (Christian Hettkamp). Doch Teiresias sieht eine düstere Zukunft voraus. Ödipus ist mit dem Fluch der Götter behaftet. Weder er noch die Seinen entgehen ihrem Schicksal.

Dem Untergang geweiht
Ödipus‘ Söhne Eteokles (Sven Gey) und Polyneikes (Julian Sigi) töten sich gegenseitig. Ihre Schwestern Antigone (Danielle Green) und Ismene (Wendy Michelle Güntensperger) stürzen sich ins Verderben. Am Ende ist Ödipus Stadt dem Untergang geweiht. Wie schon bei den „Buddenbrooks“, die 2009 am Theater St. Gallen inszeniert wurden, erzählt Düffel auch diesmal eine Familiengeschichte. Es geht um Liebe und Rivalität, um Macht und Ohnmacht. Am Ende zerstört die Herrscherfamilie von Theben sich selbst und ihr ganzes Reich. Sie ist belegt mit einem Familienfluch, dem keiner entkommt.

Eine ganz normale Familie
Dass Ödipus‘ Familie auch eine ganz normale Familie ist, zeigt Regisseurin Katja Langenbach mit witzigen Details. Schliesslich braucht auch ein König Körperpflege. Also geht Ödipus unter die Dusche und zwar nackt, was bei den Premieregästen für einiges Schmunzeln sorgte. In einer andern Szene versucht lokaste die streitenden Brüder zu versöhnen und steckt jedem einen Beutel Limonade der Marke „Capri Sonne“ zu.

Schräge Töne
Die Kombination von klassischen Texten mit moderner Technik ist reizvoll, zumal die schauspielerische Leistung jederzeit tadellos ist. Doch wird der Klangteppich zeitweise etwas anstrengend. Einige Protagonisten lassen ihren ganzen Frust an der E Gitarre oder am Schlagzeug aus und produzieren so schräge Töne, dass sich manche Zuschauerin und mancher Zuschauer am liebsten die Ohren zuhalten würden