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We are camera


Bühne und Kostüm
Text: Fritz Kater
Regie: Christian Schäfer
Vorarlberger Landestheater Bregenz
Premiere: 17.09.05

Die Neue, 20.September 2005

BRD oder DDR, aber immer an einem seltsamen Ort

Mit „We are camera/jasonmaterial“ hatte am Samstagabend in Bregenz eine deutsche Familiengeschichte Premiere. Viel Applaus.
VON ULRIKE BREIT

„The past is a strange place“ -„die Vergangenheit ist ein seltsamer Ort“. Diese Nachricht, auf eine Leinwand projiziert, empfängt die BesucherInnen bei „we are camera/ jasonmaterial“. Dazu der Blur-Song ,,Out of time“. Diese melancholische Stimmung zu Anfang und ein später gesprochener Satz „Ist Leben kämpfen oder ein lustiges Wort für allein sein“, umreißen diese Geschichte von Autor Fritz Kater alias Armin Petras recht gut.
Denn allein sind seine Figuren, jede für sich, obgleich sie eine Familie sind, egal ob nun 1974 in der DDR, im Herbst 1992 in Deutschland oder in Finnland in der Silvesternacht 1969, in der das Stück großteils spielt. Allein muss sich Paula (Verena Ehrmann) für Verrat oder Beistand entscheiden, allein muss Ernst (Johannes Gabl) vor seine Familie treten und erklären, dass dies kein Urlaub sondern der Beginn einer Flucht ist. Allein müssen die Kinder Mirco (Martin Rother) und Sonja (Jasmin Rischar) damit umgehen, dass ihr Vater Biologe und DDR-Spion für die Nato war.
Die in den Thrillerstoff eingebettete Familiengeschichte wird verstärkt durch die Erzählphasen der Figuren an den Mikrofonen, die eingewebte Jason-Sage tangiert die Geschichte nur am Rande. Am eindrucksvollsten agieren Rischar und Rother, sie kämpfen gegeneinander, gegen das Erwachsenwerden und gegen die Weit, manchmal überzeichnet,immer überzeugend. Gabl schafft es, den Spion, den Alkoholiker. nicht zum Hass-Objekt werden zu lassen. Die größten Gefühlskonflikte meistert Ehrmann, zwischen Ernst und John, zwischen Bleiben und Davonlaufen.
Und obwohl die düstere Stimmung das ganze Stück auszeichnet, gibt es auch helle, harmonische Momente, besonders in der Beziehung zwischen Vater und Tochter, die als einzige intakt erscheint. Eine stimmige Inszenierung, die den SchauspielerInnen viel Raum lässt und durch die Kunstfigur John eine extreme Aufwertung erfährt.
Michael    Schiemer ist nicht nur Darsteller (Hotelpage, Superman und feindlicher Agent), sondern auch Begleit-Musiker, der mit klug ausgewählten Liedern die Zeitsprünge untermalt. Regisseur Christian Schäfer inszniert die Geschichte, der ein bisschen Tempo in manchen Szenen nicht geschadet hätte, im zeitlosen Raum. Die Figuren – manchmal etwas zu laut – sind in der Vergangenheit verhaftet, das Jetzt interessiert nicht. Die Bühne (Hella Prokoph) erscheint wie eine große Spielwiese, ausgelegt mit gelben Flokati-Teppichen, versteckt unter Planen, die nach und nach Schlaf-, Bade- und Wohnzimmer freigeben.
An die Zeitsprünge und die knappe, exakte Sprache Fritz Katers musste sich das Publikum gewöhnen, zum Schluss gab es viel Applaus.

St. Galler Tagblatt
Online-Ausgabe

Montag, 19. September 2005
Am fremden Ort
Das Vorarlberger Landestheater eröffnet die Saison mit Fritz Kater

Zeitgenössisches Theater zum Saisonauftakt in Bregenz: Fritz Katers Ost- West-Thriller «We are camera», ein Stück in 25 Stücken.
CHRISTEL VOITH
«The past is a strange place», sagt die Schrift über der mit Plastikplanen verdeckten surrealen Erinnerungslandschaft. Wie ein zerbrochener Spiegel, dessen Scherben mühsam zusammengestückelt werden, wirkt Fritz Katers Ost-West-Spionagethriller „WE ARE CAMERA/jasonmaterial“, für den ihn «Theater heute» 2004 zum «Autor des Jahres» wählte.
1969- 1961 – 1992- 1939-1974.. . Die Zerstückelung in 25 Szenen, die jeweils mit genauer Zeit- und Ortsangabe beginnen, die wild durcheinander gehen, die fallen gelassen und wieder aufgenommen werden und sich erst spät zu einem Mosaik fügen, erschwert den Zugang zu dem pausenlosen, eindreiviertel Stunden langen Stück, mit dem das Vorarlberger Landestheater seine Saison beginnt.

Vater, Mutter, Sohn und Tochter. Sohn Mirco: ist er gerade fünf oder fünfzehn oder schon erwachsen? Das ändert sich ebenso in Sekundenbruchteilen wie die Haltung, die Beziehung der Eltern. Personen gehen ans Mikro, teilen Erinnerungsfetzen mit, die anderen spielen sie, unterbrechen sich, springen in ein anderes Land – BRD – DDR Finnland-, in eine andere Zeit, bis 1992, als der Sohn «rübergemacht ist» und die anfangs vielleicht dreijährige Sonja ein Kind erwartet. Der Vater, B-Waffen-Bauer und Doppelspion, verkommt zum Alkoholiker, bis er schliesslich mit seiner Familie nach Finnland flieht. Die Familie lebt fortan in der DDR, als Fremde, wie Jason, zerrüttet. Eigentlich beginnt die Geschichte noch früher, mit einem prägenden Kriegserlebnis des Neunjährigen. Zuletzt decken die Planen die Erinnerungen wieder zu – the past is a strange place..
In der Ausstattung von Hella Prokoph hat Christian Schäfer die halb surreale, halb reale Szenerie lebendig umgesetzt. Johannes GabI als Vater, Verena Ehrmani als Mutter, Jasmin Rischar als frische Göre, Martin Rother als allmählich durchblickender Sohn und Michael Schiemer als undurchsichtiger John zeichnen ihre Verwandlungen glaubhaft nach, dennoch wird die Zeit lang. Copyright © St.Ga tier Tagblatt Eine Publikation der Tagblatt Medien

Vorarlberger Nachrichten, 19.09.05

Vom Flies zu Flokati-Träumen

Das Landestheater öffnet die Spielzeit mit starker Familien-Polit-Geschichte

Christa Dietrich

Bregenz (VN) Fritz Kater steht für einen Stil, mit dem das Publikum des Vorarlberger Landestheater noch nicht sehr vertraut ist. In Deutschland längst etabliert, ist er in Bregenz aber zumindest kein Unbekannter. Mit einem seiner Stücke war er einmal mit dem Hamburger Thalia-Theater (dem Schauspiel-Partner der Bregenzer Festspiele) zu Gast.

Auf der Flucht
„We are camera/ jasonmaterial“ wurde vor knapp zwei Jahren uraufgeführt und zählt zu jener Stückserie, in der sich Kater mit der DDR-BRD Vergangenheit beschäftigt. In Rückblenden und in einer eigentümlich, aber exakt verknappten Sprache wird das Geschehen aufgerollt. Nachdem Kater ein Gefühlsspektrum entfacht, das auch unabhängig vom historischen und politischen Hintergrund gültig ist, erhält das Stück aber auch dort Wirkung, wo man mit derlei Vergangenheitsbewältigung weniger in Berührung kommt.
Und Regisseur Schäfer tut gut daran, diesen Aspekt zu betonen. In der Ausstattung von Hella Prokoph, die ein Wohnzimmer sowie ein Hotelzimmer skizziert und diese mit jenem Flokati überzieht, der nicht nur den neuen Wohlstand in der 1970ern symbolisiert, sondern auch jene Träume, die man damit verband. Gelbgold markiert die kuschelige Ware auch das goldene Vlies der eingeflochtenen Jason-Geschichte.

Und im Alltag
In der Mythologie muss man aber nicht bewandert sein, um dem Geschehen folgen zu können. Wie viele Regisseure setzt auch Petras/Kater und damit auch Christian Schäfer zudem auf die Wirkung von Rock und Pop. Nicht nur ein am Rande agierender Kommentator, Moderator und Supermann (Michael Schiemer) greift immer wieder gerne zum Mikrophon, auch die Protagonisten tun es. Theater ist längst zum Multi-Media-Spektakel geworden, Pop, Rock und Werbeslogans im Kopf, dürfte jedoch auch jedes herkömmliche Familienleben längst von derlei Showelementen bestückt sein.
Insofern stimmt das Ambiente. Es stimmt aber auch, weil die Schauspieler (am stärksten Johannes Gabl als Vater, sehr gut Verena Ehrman als Mutter) dramatische Zuspitzungen stets niederspielen. Da wird das, was an sich ein Bühnenmanierismus ist, plötzlich zum Ankerpunkt für jenen Alltag, der überaus berührt.
Und die Kinder (Jasmin Rischar und Martin Rother) beherrschen diesen Kunstgriff ohnehin bestens. Schmerz und Glück des des Kinderseins und des Erwachsenwerdens erfahren eine Darbietung, die unter die Haut geht.
Das hat überzeugt. Sichtlich auch ein zwischenzeitlich etwas ratloses Publikum.

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