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Amoklauf mein Kinderspiel

Bühne und Kostüme
Text: Thomas Freyer
Regie: Katja Langenbach
Theater St. Gallen, Studio
Premiere: 12.02.09

Thurgauer Zeitung, 14.02.09

Beklemmendes Sandkastenspiel

Im Studio des Theaters St. Gallen hatte Thomas Freyers Stück „Amoklauf mein Kinderspiel“ Premiere. Ein harter, beängstigender Theaterabend, der jedoch rund um das Gewaltthema nie die Grenze unzulässig überschreitet.

Amok im Theater ist viel schrecklicher, als man es sich vorstellt. Wie muss das erst in der Realität sein?
Unvorstellbar. Das Unvorstellbare hat Regiseurin Katja Langenhach jetzt auf die Bühne gebracht. Dass sie von der Wucht des Textes ergriffen ist, spürt man den ganzen achtzig Minuten langen Theaterabend im Studio des Theaters St. Gallen.
Autor Ihomas Freyer hat das Stück „Amoklauf mein Kinderspiel“ unter dem Eindruck der Bluttat 2002 in einer Erfurter Schule geschrieben. Und jede Zeile ist voll von dieser Betroffenheit, von diesem Verstehen-Wolen, von der Suche nach den Ursachen solch mörderischer Wut.
Die junge Münchner Regisseurin stellt die Wortgewalt des Textes in den Vordergrund und changiert in den zwei Teilen des Stückes gekonnt zwischen den Ebenen. Im ersten Teil wird versucht, die Psyche der beiden Täter und der Täterin auszuleuchten.“E“, „T“ und „C“ heissen sie einfach, sind austauschbar. Eine faszinierende Regie-Idee ist es, diese drei in einem Terrarium hinter einer Glaswand einzusperren. Bestürzt schaut man als Zuschauer in diesen Käfig von Jugendlichen, die in einem beklemmenden Sandkastenspiel ihre Psyche offenlegen, die ihren Lebensraum voll Enge, Kälte, Perspektivlosigkeit und Verzweiflung artikulieren.

Quasi als Zoobesucher
Die Glaswand wird mit Erde beworfen, bespuckt, die Hände drücken sich ab, Körper schlagen dagegen. Mit an die Scheibe gequetschtem Gesicht pressen sie ihren Hass aus den Mündern. «Der Schlamm steht mir bis zum Ha1s», sagt die weibliche Protagonistin. Die drei bewegen sich im Grenzgebiet, wie sie selbst sagen. Beängstigend, wenn man quasi als Zoobesucher das Psychogramm dieser jugendlichen Gewalttäter «mitlesen» muss. Und Autor Thomas Freyer heischt hier durchaus um Verständnis für diese Jugendlichen, die in einer solchen Welt zu Amokläufern werden.

Regisseurin Katja Langenhach lässt jetzt eine Tür des Terrariums aufgehen und schickt ihr Schauspieler-Trio auf gelbe Gerüste rings um den Zuschauerraum (Ausstattung/Bühnenbild: Hella Prokoph). Jetzt herrscht Ausnahmezustand im mit Plastikfolien bedeckten Zuschauerraum. Der Amoklauf beginnt. Ist er echt, oder ist es noch ein von skandierten Cornputerspielformeln begleitetes Kinderspiel, wie der zweite Teil des Theatertitels ja lautet?
Diese Schwebe beklemmend zu inszenieren ist nach der Terrarium-Idee die zweite gelungene Regie-Säule dieses anstrengenden Theaterabends. Phrasen wie „Nichts als ein alberner Bauchschuss“ oder „Mein Ausnahmezustand wird in Kraft treten“ zeigen nach dem Versuch im ersten Teil, das Innenleben eines angehenden Amokläufers zu definieren, jetzt den Grössenwahn, den Rausch eines kurzlebigen Machtgefühls hautnah. Da erlebt man ein paar Meter entfernt, wie der Schuldirektorin die Pistole in den Mund gehalten wird.

Die Besucher als Zielscheibe
Der «gespielte» Blutrausch hinterlässt auf den T-Shirts der Schauspieler und am Boden seine grausigen Spuren. Kunstgriff der Regie: Hat man im ersten Teil das Terrarium durch eine Sicherheitsscheibe gefahrlos beobachten können, befindet man sich im zweiten Teil unmittelbar selbst im Terrarium, im Kampfgebiet, wo man dem Lauf des Hasses tatenlos zusehen muss und mittels Lichtkegeln selbst zur Zielscheibe wird.
Die Regie lotet den Text intensiv aus, hat aber keine Scheu, Gewalt und Blutvergiessen unängstlich zu dosieren. Bloss angedeutet ist da nichts. Und trotzdem beherrscht Katja Langenbach die genaue Grenzlinie des gerade noch Zulässigen von Brutalität. Grosse Leistungen vollbringen die drei Schauspieler Andrea Haller, Romeo Meyer und Dominik Kaschke. Nicht nur mit der anspruchsvollen Auslotung solcher Rollen, sondern mit sprachlich packendem Drive und auf den langen Gerüstszenen auch mit einiger akrobatischer Präsenz.

Das karge, aber umso eindrucksvollere Bühnenbild von Hella Prokoph unterstützt die beängstigende Atmosphäre nachhaltig. Woher kommt der Hass, der zum Amok führt? Der Text von Thomas Freyer probiert da alles auszuloten, was es an Gründen gibt. Ein letztes Geheimnis dieser in den letzten Jahren häufigeren Grenzüberschreitung bleibt.
Katja Langenbach hat ein aufrüttelndes Jugendstück auf die Bühne gebracht. Sie hat keine Angst vor Direktheit und verliert trotzdem nie die Kontrolle über das Geschehen.
Das Stück ist ein harter Theaterabend, aber eben Theater. Und durch die theatralen Mittel ist es kein Stück Gewalt, sondern immer ein Stück über Gewalt. Das ist nicht wenig. Die Frage bleibt: Soll man dieses Stück Schulklassen empfehlen? Ein vorsichtiges Ja. «Amoklauf mein Kinderspiel>‘ braucht allerdings sehr viel Vorbereitung im Klassenzimmer. Die Nachbereitung in Form von anschliessenden Diskussionen bietet das Theater St.Gallen nach jeder Vorstellung.
MARTIN PREIS-<ER

St.Galler Tagblatt, 14. Februar 2009

Ach, lach, mach dich tot

Im Studio des Theaters St. Gallen hatte das Jugendstück «Amoklauf mein Kinderspiel» Premiere.
«Sandkastenspiel» über den Ernst des Lebens an der Peripherie des allzeit Möglichen.

RRIGITTE SCHMID-GUGLER
Ohne Punkt und Komma kommt der Titel des Stücks daher: „Amoklauf mein Kinderspiel“. Und genauso interpunktionsabwesend ist die Sprache von Thomas Freyer, des jungen deutschen Dramatikers. Immer wieder wird man während des vordergründig harmlosen Sandkastenspiels an Heiner Müller und dessen Stück „Totenfloss“ erinnert, das im Jahr von Tschernobyl am gleichen Ort aufgeführt worden war. Ein Endzeitstück für Endzeitmenschen, die „Checker“ hiessen, auch sie gekleidet in eine Art Uniform, die Sprache ein Verschnitt zwischen SchluckaufStakkato und Müll – Trümmerdeutsch. Namenlos, leer die Blicke der zwei Männer und der einen Frau, die Träume nach Verwesung stinkend.
Bei Thomas Freyer, aufgewachsen im früheren ostdeutschen Gera, Jahrgang 1981, ist der SuperGAU nicht die vernichtende Umweltkatastrophe in Xanten, es genügt, das ganz alltägliche Leben als grösster anzunehmender Unfall in die eigene Haut zu ritzen.

Taub am Leben
Wie Müller gibt auch Freyer die Menschen namenlos, es sind auch bei ihm drei an der Zahl. Zwei junge Männer, eine junge Frau in Schuluniforinen. Der „Käfig“ (Ausstattung Hella Prokoph), in welchem sie stehen, ist aus Glas, es könnten auch die Fenster der Turnhalle sein, in die sie im zweiten Teil des Stücks eindringen werden, bewaffnet mit schwerer Munition.
Alles nach Zeitplan. Doch vorerst pressen sie die choral gesprochene Sprachlosigkeit aus sich heraus wie ein Stundengebet. Andrea Haller, Romeo Meyer und Dominik Kaschke sind E, T und C, und man liest die drei Grossbuchstuhen-Nobodys gerne auch als Verweis auf „etc“, auf „und so weiter“ oder „und die übrigen“.
Die jugendlichen Gemüter auch am Freitag, wenn es von Mutter gekochten Würstchengulasch gibt, kalt und frustriert, die Herzen unverstanden, überhört, übergangen, übersehen. Obwohl doch, wie die Eltern (immer zitiert von E, T, und C) mit erstarrtem Lächeln behaupten: „Es geht uns gut!“. Die Wohlfühl-Community besteht aus getätigten Grosseinkaufen im „Kaufland“ und telefonischen Neubestellungen bei „Otto“ – es könnte auch die „Migros“ sein.
Hingeklatscht wie tote Fliegen, kleben die Gesichter der Jungen am Glas. Wo die Haut mit der Scheibe in Berührung kommt, schlägt der Schatten einen Fleck wie eingedicktes Blut, Konstante Übelkeit. Zum Kotzen alles. Die Lehrerin wischt ihre Stasi-Vergangenheit mit dem Schwamm aus dem Gedächtnis wie die Wörter von der Tafel. Und der Schulabwart übermalt das über die Eingangstüre geschmierte Hakenkreuz vor Schulbeginn, bevor es jemand sieht. Im Sandkasten der grossen Kinder herrscht Ausnahmezustand.

Durchladen
Die Illusionsburgen werden zerstampft. Der Freiheitsstrand wird umgeschaufelt, die Körner werden zu Wurfgeschossen, zu Schlachtmaterial. Raus aus dem Käfig und rein in den Kampf- Prokoph steckt das Trio in die Kluft virtueller Krieger. „Amoklauf mein Kinderspiel“ ganz elend ernst geworden. Durch Masken verfremdete Stimmen rufen sich beim Durchkämmen des Feindeslandes Befehle zu: „Headshot!.Enemy Down!“. Das ganze beschissene Leben durch einen einzigen Buchstaben ersetzen. Schiss haben zählt nicht, „schiess endich!“, der Deutschlehrerin einen Bauchschuss verpassen und dabei an Sahnetorte denken. Mit Verlusten ist zu rechnen. Die Kollateralschäden werden am Schluss des Kriegsspiels im Kunstraum der Schule liegen, der zur Leichenhalle umfunktioniert wurde.
Abgeknallt. Ausgelöscht.

Eine Orgie von Blut und Zerstörung. Gefühle zeigen tut nur weh.
Die lapidar aufgezählte „Statistik“ des Berichterstatters klingt wie jede andere von der wirklichen Kriegs- und Totmacherfront. Unsentimental. Sachlich nachgeführt nach Gewinnen und Verlusten. Ob die digital tranchierten Hirnscheiben von toten Amokläufern etwas für die Wissenschaft hergäben?

Filmriss
Die Regisseurin Katja Langenbach hat Thomas Freyers Spiel zwischen Gut und Böse in diesem leicht übertretbaren Grenzbereich angesiedelt. Die zwischen Fiktion und Wirklichkeit flirrenden Sätze in schmerzhaft scharf eingestellte Bilder gesetzt, so dass die Übergänge im Kopf fliessend sind und sehr nahe an den Tschanuns, Leimbachers, in Amtsstuben, in Schulen wie Erfurt, Red Lake, Emsdetten etc. Wenn die drei Ballerleute das Schiessterrain betreten, und unsere Augen ihrem (Affen-)Klettern über das Geländer folgen, wo sie ihre Schiesswaffen montieren, mit kaltem Blick die Situation „checken“, dann wird einem angst und bange. Im dichten Nebel schliesslich alles ausgeräuchert. Die Theaterleichen, in mit Kunstblut getränkten Leibchen, stehen auf. Applaus! Es geht uns, den Übrigen, gut.

Thurgauer Zeitung, 14.02.09

Beklemmendes Sandkastenspiel

Im Studio des Theaters St. Gallen hatte Thomas Freyers Stück „Amoklauf mein Kinderspiel“ Premiere. Ein harter, beängstigender Theaterabend, der jedoch rund um das Gewaltthema nie die Grenze unzulässig überschreitet.

Amok im Theater ist viel schrecklicher, als man es sich vorstellt. Wie muss das erst in der Realität sein?
Unvorstellbar. Das Unvorstellbare hat Regiseurin Katja Langenhach jetzt auf die Bühne gebracht. Dass sie von der Wucht des Textes ergriffen ist, spürt man den ganzen achtzig Minuten langen Theaterabend im Studio des Theaters St. Gallen.
Autor Ihomas Freyer hat das Stück „Amoklauf mein Kinderspiel“ unter dem Eindruck der Bluttat 2002 in einer Erfurter Schule geschrieben. Und jede Zeile ist voll von dieser Betroffenheit, von diesem Verstehen-Wolen, von der Suche nach den Ursachen solch mörderischer Wut.
Die junge Münchner Regisseurin stellt die Wortgewalt des Textes in den Vordergrund und changiert in den zwei Teilen des Stückes gekonnt zwischen den Ebenen. Im ersten Teil wird versucht, die Psyche der beiden Täter und der Täterin auszuleuchten.“E“, „T“ und „C“ heissen sie einfach, sind austauschbar. Eine faszinierende Regie-Idee ist es, diese drei in einem Terrarium hinter einer Glaswand einzusperren. Bestürzt schaut man als Zuschauer in diesen Käfig von Jugendlichen, die in einem beklemmenden Sandkastenspiel ihre Psyche offenlegen, die ihren Lebensraum voll Enge, Kälte, Perspektivlosigkeit und Verzweiflung artikulieren.

Quasi als Zoobesucher
Die Glaswand wird mit Erde beworfen, bespuckt, die Hände drücken sich ab, Körper schlagen dagegen. Mit an die Scheibe gequetschtem Gesicht pressen sie ihren Hass aus den Mündern. «Der Schlamm steht mir bis zum Ha1s», sagt die weibliche Protagonistin. Die drei bewegen sich im Grenzgebiet, wie sie selbst sagen. Beängstigend, wenn man quasi als Zoobesucher das Psychogramm dieser jugendlichen Gewalttäter «mitlesen» muss. Und Autor Thomas Freyer heischt hier durchaus um Verständnis für diese Jugendlichen, die in einer solchen Welt zu Amokläufern werden.

Regisseurin Katja Langenhach lässt jetzt eine Tür des Terrariums aufgehen und schickt ihr Schauspieler-Trio auf gelbe Gerüste rings um den Zuschauerraum (Ausstattung/Bühnenbild: Hella Prokoph). Jetzt herrscht Ausnahmezustand im mit Plastikfolien bedeckten Zuschauerraum. Der Amoklauf beginnt. Ist er echt, oder ist es noch ein von skandierten Cornputerspielformeln begleitetes Kinderspiel, wie der zweite Teil des Theatertitels ja lautet?
Diese Schwebe beklemmend zu inszenieren ist nach der Terrarium-Idee die zweite gelungene Regie-Säule dieses anstrengenden Theaterabends. Phrasen wie „Nichts als ein alberner Bauchschuss“ oder „Mein Ausnahmezustand wird in Kraft treten“ zeigen nach dem Versuch im ersten Teil, das Innenleben eines angehenden Amokläufers zu definieren, jetzt den Grössenwahn, den Rausch eines kurzlebigen Machtgefühls hautnah. Da erlebt man ein paar Meter entfernt, wie der Schuldirektorin die Pistole in den Mund gehalten wird.

Die Besucher als Zielscheibe
Der «gespielte» Blutrausch hinterlässt auf den T-Shirts der Schauspieler und am Boden seine grausigen Spuren. Kunstgriff der Regie: Hat man im ersten Teil das Terrarium durch eine Sicherheitsscheibe gefahrlos beobachten können, befindet man sich im zweiten Teil unmittelbar selbst im Terrarium, im Kampfgebiet, wo man dem Lauf des Hasses tatenlos zusehen muss und mittels Lichtkegeln selbst zur Zielscheibe wird.
Die Regie lotet den Text intensiv aus, hat aber keine Scheu, Gewalt und Blutvergiessen unängstlich zu dosieren. Bloss angedeutet ist da nichts. Und trotzdem beherrscht Katja Langenbach die genaue Grenzlinie des gerade noch Zulässigen von Brutalität. Grosse Leistungen vollbringen die drei Schauspieler Andrea Haller, Romeo Meyer und Dominik Kaschke. Nicht nur mit der anspruchsvollen Auslotung solcher Rollen, sondern mit sprachlich packendem Drive und auf den langen Gerüstszenen auch mit einiger akrobatischer Präsenz.

Das karge, aber umso eindrucksvollere Bühnenbild von Hella Prokoph unterstützt die beängstigende Atmosphäre nachhaltig. Woher kommt der Hass, der zum Amok führt? Der Text von Thomas Freyer probiert da alles auszuloten, was es an Gründen gibt. Ein letztes Geheimnis dieser in den letzten Jahren häufigeren Grenzüberschreitung bleibt.
Katja Langenbach hat ein aufrüttelndes Jugendstück auf die Bühne gebracht. Sie hat keine Angst vor Direktheit und verliert trotzdem nie die Kontrolle über das Geschehen.
Das Stück ist ein harter Theaterabend, aber eben Theater. Und durch die theatralen Mittel ist es kein Stück Gewalt, sondern immer ein Stück über Gewalt. Das ist nicht wenig. Die Frage bleibt: Soll man dieses Stück Schulklassen empfehlen? Ein vorsichtiges Ja. «Amoklauf mein Kinderspiel>‘ braucht allerdings sehr viel Vorbereitung im Klassenzimmer. Die Nachbereitung in Form von anschliessenden Diskussionen bietet das Theater St.Gallen nach jeder Vorstellung.
MARTIN PREIS-<ER

St.Galler Tagblatt, 14. Februar 2009

Ach, lach, mach dich tot

Im Studio des Theaters St. Gallen hatte das Jugendstück «Amoklauf mein Kinderspiel» Premiere.
«Sandkastenspiel» über den Ernst des Lebens an der Peripherie des allzeit Möglichen.

RRIGITTE SCHMID-GUGLER
Ohne Punkt und Komma kommt der Titel des Stücks daher: „Amoklauf mein Kinderspiel“. Und genauso interpunktionsabwesend ist die Sprache von Thomas Freyer, des jungen deutschen Dramatikers. Immer wieder wird man während des vordergründig harmlosen Sandkastenspiels an Heiner Müller und dessen Stück „Totenfloss“ erinnert, das im Jahr von Tschernobyl am gleichen Ort aufgeführt worden war. Ein Endzeitstück für Endzeitmenschen, die „Checker“ hiessen, auch sie gekleidet in eine Art Uniform, die Sprache ein Verschnitt zwischen SchluckaufStakkato und Müll – Trümmerdeutsch. Namenlos, leer die Blicke der zwei Männer und der einen Frau, die Träume nach Verwesung stinkend.
Bei Thomas Freyer, aufgewachsen im früheren ostdeutschen Gera, Jahrgang 1981, ist der SuperGAU nicht die vernichtende Umweltkatastrophe in Xanten, es genügt, das ganz alltägliche Leben als grösster anzunehmender Unfall in die eigene Haut zu ritzen.

Taub am Leben
Wie Müller gibt auch Freyer die Menschen namenlos, es sind auch bei ihm drei an der Zahl. Zwei junge Männer, eine junge Frau in Schuluniforinen. Der „Käfig“ (Ausstattung Hella Prokoph), in welchem sie stehen, ist aus Glas, es könnten auch die Fenster der Turnhalle sein, in die sie im zweiten Teil des Stücks eindringen werden, bewaffnet mit schwerer Munition.
Alles nach Zeitplan. Doch vorerst pressen sie die choral gesprochene Sprachlosigkeit aus sich heraus wie ein Stundengebet. Andrea Haller, Romeo Meyer und Dominik Kaschke sind E, T und C, und man liest die drei Grossbuchstuhen-Nobodys gerne auch als Verweis auf „etc“, auf „und so weiter“ oder „und die übrigen“.
Die jugendlichen Gemüter auch am Freitag, wenn es von Mutter gekochten Würstchengulasch gibt, kalt und frustriert, die Herzen unverstanden, überhört, übergangen, übersehen. Obwohl doch, wie die Eltern (immer zitiert von E, T, und C) mit erstarrtem Lächeln behaupten: „Es geht uns gut!“. Die Wohlfühl-Community besteht aus getätigten Grosseinkaufen im „Kaufland“ und telefonischen Neubestellungen bei „Otto“ – es könnte auch die „Migros“ sein.
Hingeklatscht wie tote Fliegen, kleben die Gesichter der Jungen am Glas. Wo die Haut mit der Scheibe in Berührung kommt, schlägt der Schatten einen Fleck wie eingedicktes Blut, Konstante Übelkeit. Zum Kotzen alles. Die Lehrerin wischt ihre Stasi-Vergangenheit mit dem Schwamm aus dem Gedächtnis wie die Wörter von der Tafel. Und der Schulabwart übermalt das über die Eingangstüre geschmierte Hakenkreuz vor Schulbeginn, bevor es jemand sieht. Im Sandkasten der grossen Kinder herrscht Ausnahmezustand.

Durchladen
Die Illusionsburgen werden zerstampft. Der Freiheitsstrand wird umgeschaufelt, die Körner werden zu Wurfgeschossen, zu Schlachtmaterial. Raus aus dem Käfig und rein in den Kampf- Prokoph steckt das Trio in die Kluft virtueller Krieger. „Amoklauf mein Kinderspiel“ ganz elend ernst geworden. Durch Masken verfremdete Stimmen rufen sich beim Durchkämmen des Feindeslandes Befehle zu: „Headshot!.Enemy Down!“. Das ganze beschissene Leben durch einen einzigen Buchstaben ersetzen. Schiss haben zählt nicht, „schiess endich!“, der Deutschlehrerin einen Bauchschuss verpassen und dabei an Sahnetorte denken. Mit Verlusten ist zu rechnen. Die Kollateralschäden werden am Schluss des Kriegsspiels im Kunstraum der Schule liegen, der zur Leichenhalle umfunktioniert wurde.
Abgeknallt. Ausgelöscht.

Eine Orgie von Blut und Zerstörung. Gefühle zeigen tut nur weh.
Die lapidar aufgezählte „Statistik“ des Berichterstatters klingt wie jede andere von der wirklichen Kriegs- und Totmacherfront. Unsentimental. Sachlich nachgeführt nach Gewinnen und Verlusten. Ob die digital tranchierten Hirnscheiben von toten Amokläufern etwas für die Wissenschaft hergäben?

Filmriss
Die Regisseurin Katja Langenbach hat Thomas Freyers Spiel zwischen Gut und Böse in diesem leicht übertretbaren Grenzbereich angesiedelt. Die zwischen Fiktion und Wirklichkeit flirrenden Sätze in schmerzhaft scharf eingestellte Bilder gesetzt, so dass die Übergänge im Kopf fliessend sind und sehr nahe an den Tschanuns, Leimbachers, in Amtsstuben, in Schulen wie Erfurt, Red Lake, Emsdetten etc. Wenn die drei Ballerleute das Schiessterrain betreten, und unsere Augen ihrem (Affen-)Klettern über das Geländer folgen, wo sie ihre Schiesswaffen montieren, mit kaltem Blick die Situation „checken“, dann wird einem angst und bange. Im dichten Nebel schliesslich alles ausgeräuchert. Die Theaterleichen, in mit Kunstblut getränkten Leibchen, stehen auf. Applaus! Es geht uns, den Übrigen, gut.