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Erwartung_Nada


(Bühnen-und Kostümbild)
Eine musiktheatrale Erinnerung
mit der Oper „Erwartung“ von Arnold Schönberg und Texten von Zeitzeugen des Bosnienkrieges
Inszenierung und Konzept: Jasmina Hadziahmetovic, Dramaturgie: Bettina Auer
Musikalische Leitung: Catherine Larsen-Maguire, Video: Bettina Mooshammer
Radialsystem Berlin, Premiere: 11.07.2013


taz Berlin (TZ) ,13.07.2013 von Katharina Granzin

Wo Angstträume helfen

Gedenken: Im Radialsystem zeigt die junge Regisseurin Jasmina Hadziahmetovic einen Erinnerungsabend an die Opfer des Bosnienkrieges mit Musik von Arnold Schönberg

Die Musik wirkt am Ende wie ein Filter, der die Realität in etwas Erträglicheres verwandelt. Wenn Schönberg das geahnt hätte.
Tatsächlich weiß man vorher gar nicht so recht, was zu erwarten ist von einem Abend, der im Programmheft ‚eine musiktheatrale Erinnerung“ genannt wird und an dem es außer der einaktigen Oper ‚Erwartung“ von Arnold Schonberg Texte von Überlebenden des Bosnienkrieges zu hören geben wird.

Der 11.Juli, der Abend der Premiere, ist das Datum, an dem das Massaker von Srebrenica begann. Auch das hat man vorher nicht mehr so genau gewusst; es ist schließlich schon achtzehn Jahre her. Die junge Regisseurin Jasmina Hadziahmetovic, die Anfang der neunziger Jahre als Kind aus Bosnien nach Deutschland geflohen ist, hat sich schweres Gepäck aufgeladen. Wie kann man im Theater auf angemessene Weise an etwas erinnern, das eigentlich zu grauenhaft ist, als dass die Menschen viel daran denken wollten? Man kann es.
Im Nachhinein ist es erstaunlich, was alles an einem einzigen Musiktheaterabend passieren kann.
Er beginnt mit einem Stück Nachhilfeunterricht in der Geschichte Bosniens, dargestellt von kleinen Pappfiguren und Icons, die von Schauspielern auf einem Tisch hin und her geschoben werden, gefilmt mit einer Handkamera und übertragen auf die große Leinwand. Das kommt, nach Art der animierten Einspielfilmchen in den KikaKindenachrichten, schon ein wenig überdidaktisch daher. Aber dennoch ist dieser Einstieg als ein gleichsam umarmender Gestus nicht zu unterschätzen. Diejenigen, die hier Erinnerungstheater machen, sind nicht so vermessen, das für die Erinnerung notwendige Wissen beim Publikum vorauszusetzen.

Anschließend tragen Schauspieler Texte von Zeitzeugen vor. Sie stammen aus verschiedenen Publikationen, die in deutscher Übersetzung erschienen sind. Die Inszenierung bleibt dabei karg, es passiert nichts, das von den Worten ablenken könnte – So bleibt einem nichts, als zuzuhören. Eine Mutter davon erzählen zu hören, wie serbische Soldaten den vierzehnjährigen Sohn von ihr trennen, für immer. Einen Mann anzuhören, der mit hundertundsechzig anderen Männern zehn Tage in einer Garage eingesperrt war. Und den Bericht einer Frau, die als Kriegsbeute über Wochen hinweg immer wieder vergewaltigt wurde. Die Frau steckt in einem quadratischen Kasten, als sie das erzählt, etwa einen mal einen Metergroß. Ebenso groß ist das Loch im Boden, in dem der Totengräber sitzt, und ungefähr genauso die Kiste, worin der Garagenmann mit einem Leidensgenossen steckt. Mal stehen die Schauspieler auch hinter einer transparenten Wand, an die sie zuvor die Namen von Ermordeten geheftet haben. Hadziahmetovic überlässt die Inszenierung ganz der Kraft der Texte, sie gibt ihnen nur einen Rahmen. Das reicht, es ist fast schon mehr als genug.

Als sich nach eineinhalb Stunden das Kammerensemble der Komischen Oper (KOM) an einer Seite der Halle aufbaut und Arnold Schönbergs „Erwartung“ anhebt, kommt die Musik als eine Art Erlösung. Eine Frau irrt auf der Bühne umher, sucht ihren Geliebten, findet in den umherliegenden Leichensäcken Kleidungsstücke, die sie sorgsam ausbreitet, streichelt, anprobiert. Der Geliebte, so ist es auch in Schönbergs Ein Frau Oper von 1929, ist tot; im dunklen Wald stößt die Frau auf seine Leiche.
„Als ein Angsttraum“ könne sein Stück aufgefasst werden, schrieb der Komponist selbst darüber. Sein expressionistischer Gestus gibt extreme Gefühlsbewegungen wieder, Verzweiflung, Wut, Zärtlichkeit und Trauer. Die traumatischen Kriegserfahrungen, von denen vorher so lange in so sachlichen Berichten die Rede war, werden in der Musik aufgehoben und transzendiert. Gerade das Albtraumhafte verschiebt sie in einen Bereich, in dem sie erst wirklich vorstellbar werden. Das ensembleKOM unter Catherine Larsen Maguire und die Sopranistin Christiane Iven geben Schönbergs halbstündigem Bühnenstück eine musikalisch traumwandlerische, intensive Präsenz.
Fast stellt sich an diesem Abend nicht einmal die Frage nach Art und Weise der künstlerischen Ausführung. Um Schönberg ging es schließlich gar nicht. Dessen Musik ist hier zwar instrumentalisiert worden, um Gedenken fassbar zu machen. Aber das zeigt auch, wie Kunst eine Hilfe werden kann. Das zu erleben ist erhellend.

opernnetz.de ,15.07.2013 von Karin Coper

Krieg mit Schönberg

Vor 18 Jahren ereignete sich während des Bosnienkonfliktes eines der schrecklichsten Kriegsverbrechen seit dem zweiten Weltkrieg. Beim Massaker von Srebenica wurden fast 10 000 muslimische Bosnier von serbischen Milizen getötet. Das Gräuel fand fast vor unserer Haustür statt, doch es drang kaum in das Bewusstsein der Allgemeinheit ein. Die junge Regisseurin Jasmina Hadziahmetovic, die selbst aus der damals belagerten Stadt Sarajewo stammt und als Kind von dort fliehen musste, will daran erinnern.
Dafür hat sie ein Musiktheaterprojekt entwickelt, das sie Erwartung_Nada, das bosnische Wort für Erwartung, nennt. Es koppelt Texte, Videodokumente und Volksmusik mit der Oper Erwartung von Arnold Schönberg. Die Bühne von Hella Prokoph strahlt eine düstere Atmosphäre aus. Durchsichtige Plastikplanenstreifen, die nach Bedarf hochgezogen werden, teilen Vorder- und Hinterbühne. Im Verlauf werden die Akteure sie mit Zetteln, auf denen das Geburts- und Todesjahr von Ermordeten steht, bekleben. Auf dem Boden verteilt liegen weiße Plastiksäcke, die Leichenteile verbergen – das Grauen ist ständig sichtbar. Vor Beginn wird ein geschichtlicher Abriss Jugoslawiens bis zum Zerfall auf den Vorhang projiziert. Dann treten vier Schauspieler und die Sängerin auf. Eindringlich rezitieren Susi Wirth, Jürgen Haug, Maximilian Held und Adi Hrustemovic Aussagen von betroffenen Zeitzeugen, deren Schicksale sie auch in kleinen Aktionen nachstellen, und Protokolle der Kriegsverbrecherprozesse, während zeitgleich auf kleinen Fernsehern damalige Tagesschaueinspielungen und Videos, die von Beobachtern gedreht wurden, zu sehen sind. Dazu erklingt vereinzelt bosnische Folklore, inbrünstig gespielt vom Akkordeonisten Jun Tarasenok und der Fagottistin Catherine Larsen-Maguire.

Den Abschluss bildet der Einakter Erwartung von Arnold Schönberg, der in der reduzierten Fassung von Paul Mefano und Michel Decous aus dem Jahr 2001 gespielt wird. Das Monodram von 1909, in dem eine Frau, gepeinigt von Wahnvorstellungen und Ängsten, ihren toten Mann sucht, erweist sich in seiner Thematik als überaus passend und wird zum Höhepunkt des Abends. Hier, in der Konzentration auf eine Figur, erreicht die Regisseurin durch eine ausgefeilte Personenführung größtmögliche Intensität. Ihr steht allerdings mit Christiane Iven auch eine Sängerin zur Verfügung, deren Interpretation der namenlosen Frau so fesselnd wie ergreifend ist. Die Sopranistin veranschaulicht jede Gefühlsregung mit nuancierten vokalen Mitteln bei gleichzeitig vorbildlicher Textdeutlichkeit. Mit ihrer üppigen, auch in der exponierten Lage leuchtenden Stimme beweist sie, dass sich Ausdrucks- und Schöngesang nicht gegenseitig ausschließen müssen. Sie wird kongenial begleitet vom hochkompetenten ensembleKOM, das sich aus Mitgliedern der Komischen Oper zusammensetzt. Am Pult zeigt sich die Dirigentin Catherine Larsen-Maguire, die schon im ersten Teil als Fagottistin geglänzt hatte, nicht nur als sensible wie expressive Gestalterin der Partitur, sondern auch als einfühlsame, mitatmende Sängergehilfin. Das Publikum füllt bei der dritten Aufführung nicht ganz das Radialsystem. Auch das anschließende Gespräch nehmen nur wenige wahr. Denn in ihm geht es im wesentlichen um Politik, nicht um eine Diskussion über die Aufführung, die so mancher gerne geführt hätte.

kuIturadio extra.de, 14.07.2013 von Andre Sokolowski

Kritik Erwartung_Nada

Normalerweise wird das über halbstündige Schönberg-Monodram Erwartung (1930) in der Koppelung mit Bartöks doppelt so langer Oper Herzog Blaubarts Burg (1911) szenisch geboten: das macht sicherlich auch dahingehend einen Sinn, weil – was die beiden jeweiligen Handlungen betrifft – sowohl die Eine (Frau bei Schönberg) wie die Andere (Judith bei Bartok) Quasi-Stalkerinnen sind: In der Erwartung kämpft die Frau sich nachts auf einer waldumschlossnen Landstraße zu ihrem Liebsten, den sie erst ein Jahr lang kannte und der allerdings bei/mit ner andern Frau (in einem Haus nahe der waldumschlossnen Landstraße) zusammenlebte, vor und findet ihn, den Liebsten. plötzlich leblos auf der waldumschlossnen Landstraße so daliegen – und wir erfahren freilich nicht, wie es zu diesem Totgeratensein des Liebsten von der Frau gekommen war. Hatte er sich höchstselbst vor ein heranrollendes Auto geworfen? Hatte ihn die Frau – aus stalkerischer Eifersucht – dorthin gestoßen? Oder hatte justament die andre Frau ein bisschen nachgeholfen? Das ist dann das Spannende am Schönberg-Monodram. dass nicht herauskommt, was und wie die Dreiecksstory eigentlich zustande kam bzw. endete. Nur diese dauernd-stalkerischen Emotionsausbrüche und -geladenheiten jener Frau (der Liebsten ihres Liebsten) sind der Gegenstand“ der Schönbergschen Musik auf einen Psycho-Text der Dichterin Maria Pappenheim.
(Nur zum Vergleich: Judith aus Herzog Blaubarts Burg lässt auch partout nicht locker und will Alles (und noch mehr) vom unbekannten Finsterling, in den sie sich natürlich und obgleich womöglich etwas abartig verschossen hatte, wissen – was ihr letztlich nicht bekommt: denn Blaubart zieht sie – so wie alle seine Frauen – in die Finsternis mit sich herab.)
Christiane Iven spielt und singt die Frau in der Erwartung – textverständlich und mit distanzierter Inbrunst, sowieso ist sie dann eine von den Sopranistinnen, die in der Lage wäre/ist. Alles, was rund um sie noch mitwirkt, von der Bühne regelrecht hinwegzuschmettern: das will sagen – ihre nicht nur stimmliche Präsenz hat etwas Maßgebliches für den jeweiligen Abend. Ohne sie ginge dann also nichts! Die Dirigentin Catherine Larsen- Maguire leitet das ensembleKOM: das sind Musikerinnen und Musiker der Komischen Oper Berlin, die sich die Darbietung von Musikwerken in unherkömmlichen Besetzungen zum Ziel gemacht haben – sie wählten übrigens eine sog. reduzierte Fassung der Erwartung. die von Paul Mdfano und Michel Decourst (2001) erstellt wurde… Überflüssig zu sagen, dass die Aufführung hochprofessionell und musikalisch-wunderbar geriet.

Regisseurin Jasmina Hadziahmetovic, die 1992 als Kriegsflüchtling aus Sarajevo nach Deutschland kam, hat das Projekt, das sie unter dem Titel Erwartung_Nada stellte, initiiert um den Opfern des Bosnienkrieges (1992-1995) eine Stimme zu geben.
Von einer Schauspielerin (Susi Wirth) und drei Schauspielern (Jürgen Haug, Maximilian Held und Ad! Hrustemovic) lässt sie Original-Texte, die sich v.a. um den grauenhaften Genozid von Srebrenica drehten, sprechen. Das Alles korrespondiert sie mit TV-Dokumenten aus dieser Zeit sowie Zitaten aus dem mitgefllmten Den Haager Kriegsverbrechertribunal von 2010.

Unter die Haut gingen schon diese von Susi Wirth gesprochenen Geschichten einer jungen Bosniakin, die während der Selektion (Männer nach links – Frauen und Kinder nach rechts) ihren erst 14jährigen Sohn verlieren sollte oder eines von den zahlreichen Vergewaltigungsopfern… Die insgesamt fünf Akteure auf der Bühne des Berliner Radialsystems pinnten dann unzählige Todesanzeigen an die Planen oder zerrten zig Leichensäcke herbei, die sie vor sich in Reihe ausbreiteten – – ja und mitten in der Szenerie setzt dann die eigenartig hierzu passende Erwertungs-Handlung ein bzw. schließt sie ab: genialer Einfall!


taz Berlin (TZ) ,13.07.2013 von Katharina Granzin

Wo Angstträume helfen

Gedenken: Im Radialsystem zeigt die junge Regisseurin Jasmina Hadziahmetovic einen Erinnerungsabend an die Opfer des Bosnienkrieges mit Musik von Arnold Schönberg

Die Musik wirkt am Ende wie ein Filter, der die Realität in etwas Erträglicheres verwandelt. Wenn Schönberg das geahnt hätte.
Tatsächlich weiß man vorher gar nicht so recht, was zu erwarten ist von einem Abend, der im Programmheft ‚eine musiktheatrale Erinnerung“ genannt wird und an dem es außer der einaktigen Oper ‚Erwartung“ von Arnold Schonberg Texte von Überlebenden des Bosnienkrieges zu hören geben wird.

Der 11.Juli, der Abend der Premiere, ist das Datum, an dem das Massaker von Srebrenica begann. Auch das hat man vorher nicht mehr so genau gewusst; es ist schließlich schon achtzehn Jahre her. Die junge Regisseurin Jasmina Hadziahmetovic, die Anfang der neunziger Jahre als Kind aus Bosnien nach Deutschland geflohen ist, hat sich schweres Gepäck aufgeladen. Wie kann man im Theater auf angemessene Weise an etwas erinnern, das eigentlich zu grauenhaft ist, als dass die Menschen viel daran denken wollten? Man kann es.
Im Nachhinein ist es erstaunlich, was alles an einem einzigen Musiktheaterabend passieren kann.
Er beginnt mit einem Stück Nachhilfeunterricht in der Geschichte Bosniens, dargestellt von kleinen Pappfiguren und Icons, die von Schauspielern auf einem Tisch hin und her geschoben werden, gefilmt mit einer Handkamera und übertragen auf die große Leinwand. Das kommt, nach Art der animierten Einspielfilmchen in den KikaKindenachrichten, schon ein wenig überdidaktisch daher. Aber dennoch ist dieser Einstieg als ein gleichsam umarmender Gestus nicht zu unterschätzen. Diejenigen, die hier Erinnerungstheater machen, sind nicht so vermessen, das für die Erinnerung notwendige Wissen beim Publikum vorauszusetzen.

Anschließend tragen Schauspieler Texte von Zeitzeugen vor. Sie stammen aus verschiedenen Publikationen, die in deutscher Übersetzung erschienen sind. Die Inszenierung bleibt dabei karg, es passiert nichts, das von den Worten ablenken könnte – So bleibt einem nichts, als zuzuhören. Eine Mutter davon erzählen zu hören, wie serbische Soldaten den vierzehnjährigen Sohn von ihr trennen, für immer. Einen Mann anzuhören, der mit hundertundsechzig anderen Männern zehn Tage in einer Garage eingesperrt war. Und den Bericht einer Frau, die als Kriegsbeute über Wochen hinweg immer wieder vergewaltigt wurde. Die Frau steckt in einem quadratischen Kasten, als sie das erzählt, etwa einen mal einen Metergroß. Ebenso groß ist das Loch im Boden, in dem der Totengräber sitzt, und ungefähr genauso die Kiste, worin der Garagenmann mit einem Leidensgenossen steckt. Mal stehen die Schauspieler auch hinter einer transparenten Wand, an die sie zuvor die Namen von Ermordeten geheftet haben. Hadziahmetovic überlässt die Inszenierung ganz der Kraft der Texte, sie gibt ihnen nur einen Rahmen. Das reicht, es ist fast schon mehr als genug.

Als sich nach eineinhalb Stunden das Kammerensemble der Komischen Oper (KOM) an einer Seite der Halle aufbaut und Arnold Schönbergs „Erwartung“ anhebt, kommt die Musik als eine Art Erlösung. Eine Frau irrt auf der Bühne umher, sucht ihren Geliebten, findet in den umherliegenden Leichensäcken Kleidungsstücke, die sie sorgsam ausbreitet, streichelt, anprobiert. Der Geliebte, so ist es auch in Schönbergs Ein Frau Oper von 1929, ist tot; im dunklen Wald stößt die Frau auf seine Leiche.
„Als ein Angsttraum“ könne sein Stück aufgefasst werden, schrieb der Komponist selbst darüber. Sein expressionistischer Gestus gibt extreme Gefühlsbewegungen wieder, Verzweiflung, Wut, Zärtlichkeit und Trauer. Die traumatischen Kriegserfahrungen, von denen vorher so lange in so sachlichen Berichten die Rede war, werden in der Musik aufgehoben und transzendiert. Gerade das Albtraumhafte verschiebt sie in einen Bereich, in dem sie erst wirklich vorstellbar werden. Das ensembleKOM unter Catherine Larsen Maguire und die Sopranistin Christiane Iven geben Schönbergs halbstündigem Bühnenstück eine musikalisch traumwandlerische, intensive Präsenz.
Fast stellt sich an diesem Abend nicht einmal die Frage nach Art und Weise der künstlerischen Ausführung. Um Schönberg ging es schließlich gar nicht. Dessen Musik ist hier zwar instrumentalisiert worden, um Gedenken fassbar zu machen. Aber das zeigt auch, wie Kunst eine Hilfe werden kann. Das zu erleben ist erhellend.

opernnetz.de ,15.07.2013 von Karin Coper

Krieg mit Schönberg

Vor 18 Jahren ereignete sich während des Bosnienkonfliktes eines der schrecklichsten Kriegsverbrechen seit dem zweiten Weltkrieg. Beim Massaker von Srebenica wurden fast 10 000 muslimische Bosnier von serbischen Milizen getötet. Das Gräuel fand fast vor unserer Haustür statt, doch es drang kaum in das Bewusstsein der Allgemeinheit ein. Die junge Regisseurin Jasmina Hadziahmetovic, die selbst aus der damals belagerten Stadt Sarajewo stammt und als Kind von dort fliehen musste, will daran erinnern.
Dafür hat sie ein Musiktheaterprojekt entwickelt, das sie Erwartung_Nada, das bosnische Wort für Erwartung, nennt. Es koppelt Texte, Videodokumente und Volksmusik mit der Oper Erwartung von Arnold Schönberg. Die Bühne von Hella Prokoph strahlt eine düstere Atmosphäre aus. Durchsichtige Plastikplanenstreifen, die nach Bedarf hochgezogen werden, teilen Vorder- und Hinterbühne. Im Verlauf werden die Akteure sie mit Zetteln, auf denen das Geburts- und Todesjahr von Ermordeten steht, bekleben. Auf dem Boden verteilt liegen weiße Plastiksäcke, die Leichenteile verbergen – das Grauen ist ständig sichtbar. Vor Beginn wird ein geschichtlicher Abriss Jugoslawiens bis zum Zerfall auf den Vorhang projiziert. Dann treten vier Schauspieler und die Sängerin auf. Eindringlich rezitieren Susi Wirth, Jürgen Haug, Maximilian Held und Adi Hrustemovic Aussagen von betroffenen Zeitzeugen, deren Schicksale sie auch in kleinen Aktionen nachstellen, und Protokolle der Kriegsverbrecherprozesse, während zeitgleich auf kleinen Fernsehern damalige Tagesschaueinspielungen und Videos, die von Beobachtern gedreht wurden, zu sehen sind. Dazu erklingt vereinzelt bosnische Folklore, inbrünstig gespielt vom Akkordeonisten Jun Tarasenok und der Fagottistin Catherine Larsen-Maguire.

Den Abschluss bildet der Einakter Erwartung von Arnold Schönberg, der in der reduzierten Fassung von Paul Mefano und Michel Decous aus dem Jahr 2001 gespielt wird. Das Monodram von 1909, in dem eine Frau, gepeinigt von Wahnvorstellungen und Ängsten, ihren toten Mann sucht, erweist sich in seiner Thematik als überaus passend und wird zum Höhepunkt des Abends. Hier, in der Konzentration auf eine Figur, erreicht die Regisseurin durch eine ausgefeilte Personenführung größtmögliche Intensität. Ihr steht allerdings mit Christiane Iven auch eine Sängerin zur Verfügung, deren Interpretation der namenlosen Frau so fesselnd wie ergreifend ist. Die Sopranistin veranschaulicht jede Gefühlsregung mit nuancierten vokalen Mitteln bei gleichzeitig vorbildlicher Textdeutlichkeit. Mit ihrer üppigen, auch in der exponierten Lage leuchtenden Stimme beweist sie, dass sich Ausdrucks- und Schöngesang nicht gegenseitig ausschließen müssen. Sie wird kongenial begleitet vom hochkompetenten ensembleKOM, das sich aus Mitgliedern der Komischen Oper zusammensetzt. Am Pult zeigt sich die Dirigentin Catherine Larsen-Maguire, die schon im ersten Teil als Fagottistin geglänzt hatte, nicht nur als sensible wie expressive Gestalterin der Partitur, sondern auch als einfühlsame, mitatmende Sängergehilfin. Das Publikum füllt bei der dritten Aufführung nicht ganz das Radialsystem. Auch das anschließende Gespräch nehmen nur wenige wahr. Denn in ihm geht es im wesentlichen um Politik, nicht um eine Diskussion über die Aufführung, die so mancher gerne geführt hätte.

kuIturadio extra.de, 14.07.2013 von Andre Sokolowski

Kritik Erwartung_Nada

Normalerweise wird das über halbstündige Schönberg-Monodram Erwartung (1930) in der Koppelung mit Bartöks doppelt so langer Oper Herzog Blaubarts Burg (1911) szenisch geboten: das macht sicherlich auch dahingehend einen Sinn, weil – was die beiden jeweiligen Handlungen betrifft – sowohl die Eine (Frau bei Schönberg) wie die Andere (Judith bei Bartok) Quasi-Stalkerinnen sind: In der Erwartung kämpft die Frau sich nachts auf einer waldumschlossnen Landstraße zu ihrem Liebsten, den sie erst ein Jahr lang kannte und der allerdings bei/mit ner andern Frau (in einem Haus nahe der waldumschlossnen Landstraße) zusammenlebte, vor und findet ihn, den Liebsten. plötzlich leblos auf der waldumschlossnen Landstraße so daliegen – und wir erfahren freilich nicht, wie es zu diesem Totgeratensein des Liebsten von der Frau gekommen war. Hatte er sich höchstselbst vor ein heranrollendes Auto geworfen? Hatte ihn die Frau – aus stalkerischer Eifersucht – dorthin gestoßen? Oder hatte justament die andre Frau ein bisschen nachgeholfen? Das ist dann das Spannende am Schönberg-Monodram. dass nicht herauskommt, was und wie die Dreiecksstory eigentlich zustande kam bzw. endete. Nur diese dauernd-stalkerischen Emotionsausbrüche und -geladenheiten jener Frau (der Liebsten ihres Liebsten) sind der Gegenstand“ der Schönbergschen Musik auf einen Psycho-Text der Dichterin Maria Pappenheim.
(Nur zum Vergleich: Judith aus Herzog Blaubarts Burg lässt auch partout nicht locker und will Alles (und noch mehr) vom unbekannten Finsterling, in den sie sich natürlich und obgleich womöglich etwas abartig verschossen hatte, wissen – was ihr letztlich nicht bekommt: denn Blaubart zieht sie – so wie alle seine Frauen – in die Finsternis mit sich herab.)
Christiane Iven spielt und singt die Frau in der Erwartung – textverständlich und mit distanzierter Inbrunst, sowieso ist sie dann eine von den Sopranistinnen, die in der Lage wäre/ist. Alles, was rund um sie noch mitwirkt, von der Bühne regelrecht hinwegzuschmettern: das will sagen – ihre nicht nur stimmliche Präsenz hat etwas Maßgebliches für den jeweiligen Abend. Ohne sie ginge dann also nichts! Die Dirigentin Catherine Larsen- Maguire leitet das ensembleKOM: das sind Musikerinnen und Musiker der Komischen Oper Berlin, die sich die Darbietung von Musikwerken in unherkömmlichen Besetzungen zum Ziel gemacht haben – sie wählten übrigens eine sog. reduzierte Fassung der Erwartung. die von Paul Mdfano und Michel Decourst (2001) erstellt wurde… Überflüssig zu sagen, dass die Aufführung hochprofessionell und musikalisch-wunderbar geriet.

Regisseurin Jasmina Hadziahmetovic, die 1992 als Kriegsflüchtling aus Sarajevo nach Deutschland kam, hat das Projekt, das sie unter dem Titel Erwartung_Nada stellte, initiiert um den Opfern des Bosnienkrieges (1992-1995) eine Stimme zu geben.
Von einer Schauspielerin (Susi Wirth) und drei Schauspielern (Jürgen Haug, Maximilian Held und Ad! Hrustemovic) lässt sie Original-Texte, die sich v.a. um den grauenhaften Genozid von Srebrenica drehten, sprechen. Das Alles korrespondiert sie mit TV-Dokumenten aus dieser Zeit sowie Zitaten aus dem mitgefllmten Den Haager Kriegsverbrechertribunal von 2010.

Unter die Haut gingen schon diese von Susi Wirth gesprochenen Geschichten einer jungen Bosniakin, die während der Selektion (Männer nach links – Frauen und Kinder nach rechts) ihren erst 14jährigen Sohn verlieren sollte oder eines von den zahlreichen Vergewaltigungsopfern… Die insgesamt fünf Akteure auf der Bühne des Berliner Radialsystems pinnten dann unzählige Todesanzeigen an die Planen oder zerrten zig Leichensäcke herbei, die sie vor sich in Reihe ausbreiteten – – ja und mitten in der Szenerie setzt dann die eigenartig hierzu passende Erwertungs-Handlung ein bzw. schließt sie ab: genialer Einfall!