Stützen der Gesellschaft
Maria Magda
Der Chor
Das siebte Kreuz
Die bitteren Tränen der Petra von Kant
Werther
Konsens
Kleiner Mann was nun
Acts of Goodness
Bluthochzeit
Schuberts Winterreise
Ödipus Stadt
Noahs Flut
Michael Kohlhaas
Prinz Friedrich von Homburg
Mein junges idiotisches Herz

Don Karlos


(Kostümbild)
Dramatisches Gedicht von Friedrich Schiller
Regie: Johannes von Matuschka, Bühne: Marie Holzer
Theater Konstanz, Premiere: 15.03.2013
Thurgauer Zeitung, 19.03.2013 von Brigitte Elsner-Heller

Schillers Ränkespiel

Theater Regisseur Johannes von Matuschka bringt angenehm uneitel Don Karlos auf die Konstanzer Bühne.
Die «schönen Tage von Aranjuez», die Tage des Verweilens in der Sommerresidenz, haben Karlos, dem spanischen Infanten, keine Ruhe gebracht. Zu aufgewühlt sind die Emotionen, hat ihm doch sein Vater, Philipp II., die geliebte Frau genommen und damit rechtlich zur Mutter gemacht. Die politische Lage in den abtrünnigen Niederlanden gerät da zur Nebensache. Gäbe es nicht den Jugendfreund Marquis Posa, der den gegen die Wand rennenden Karlos ins Gebet nimmt.
Der rote Vorhang, vor dem Karlos und Posa noch so vertraut sein durften, öffnet sich erst jetzt auf der Konstanzer Bühne für das folgende Ränkespiel Schillerscher Couleur. Ein Spiegelkabinett ist dafür eingerichtet worden, das Durchblicke erlaubt, die handelnden Personen reflektiert und für Selbstreflexion Anlass bietet. Und das auch als Gefängnis des mächtigen Philipp in Szene gesetzt wird – von Bühnenbildnerin Marie Holzer prägnant entworfen.
Dosierte Akzente
Über dreieinhalb Stunden breitet Regisseur Johannes von Matuschka Schiller und seinen von revolutionärer Gärung geprägten Umgang mit der Historie aus. Matuschka ist kein Stücke-Zertrümmerer, er setzt Akzente dosiert und nicht um der Wirkung willen ein. Die entwickelt sich dann umso prägnanter. Die Inszenierung konzentriert auf die Stärken des Ensembles, die sich nicht zuletzt an Schillers Sprache beweisen. Mit traumwandlerischer Sicherheit und Ruhe breitet Axel Julius Fündeling als Marquis von Posa den Sprachduktus dieses «dramatischen Gedichts» aus, der auch für das Publikum Konzentration bedeutet. Wo Philip Heimkes Karlos sich vornehmlich körperlich verausgabt, redet Posa. Und wo Intrigen gesponnen werden, sinnt er auf einen Ausweg, eine gerechte, in die Zukunft weisende Lösung. Sogar der strenge Philipp, souverän gespielt von Ralf Beckord, wird ihn in seine Nähe holen – das endet tödlich.
Das Ensemble zeigt durchweg eine gute Leisten, aber einzelne Szenen ragen heraus, wie etwa die schnörkellos zugeschnittenen Begegnungen zwischen Elisabeth – Jana Alexia Röder als Gemahlin Philipps – und Marquis Posa oder auch dessen Zusammentreffen mit Philipp. Erst vor dem strengen Hintergrund entfalten sich die zugefügten Effekte.
Totentanz in den Leuchten
Wenn etwa Don Karlos im flackernden Stroboskoplicht mit Thomas Eckes Herzog von Alba kämpft oder sich der Hofstaat in einem Karree von Leuchten zu einer Art Totentanz versammelt. Dass es dabei nicht folkloristisch zugeht, dafür sorgt auch die musikalische Konzeption von Malte Beckenbach, der Gitarren und Kastagnetten stilisiert einsetzt.
Die Fassung von Matuschka und Thomas Spieckermann dient sich Schiller wunderbar an, hätte aber weitere Konzentration vertragen. Die Schauspieler nahmen den kräftigen Applaus des Publikums gern entgegen.

Schwäbische Zeitung, 21.03.2013 von Jürgen T. Widmer

Mit dem Kopf durch die Wand

Konstanz Don Karlos will mit dem Kopf durch die Wand. Was soll er auch sonst tun? Er ist verliebt, und in ihm stürmt und drängt es. Dummerweise ist ausgerechnet seine Stiefmutter das Ziel seines Drangs. Doch die gehört jetzt seinem Vater, und der ist immerhin Philipp, König von Spanien.
Also geht es mit Wucht an die Wände, die so unverrückbar stehen wie die gesellschaftliche Ordnung. Das Einzige, was der Infant sich holen kann, ist eine blutige Nase. Schon dieses erste Bild verrät: Regisseur Johannes von Matuschka erzählt am Stadttheater Konstanz Friedrich Schillers „Don Karlos – Infant von Spanien“ über die Körper.
Marionettenhaft bewegt sich der Hofstaat über die Bühne: steif, ganz Fassade. Nur manchmal, wenn ein Gefühl unter dieser Oberfläche zu stark aufwallt, scheinen die Figuren ihre Körper nicht mehr unter Kontrolle zu haben. Dann zucken die Arme, verrenken sich die Gliedmaßen.
Es ist eine karge Bühne auf die Matuschka seine Figuren schickt. Ein paar stark spiegelnde Glasscheiben, rote Sitzmöbel, ein Kronleuchter – Marie Holzers Bühne ist ein reduzierter, allerdings auch klug kalkulierter Raum für die großen schillerschen Gefühle.

Gefühle satt
Von diesen Gefühlen bietet Schillers Stück jede Menge. Denn während der Infant vor Liebe vergeht, will ihn sein Freund, der Marquis Posa überzeugen, für die Sache des unterdrückten Flanderns einzutreten. Dort regt sich Widerstand gegen Philipp (Ralf Beckord), der den alten Haudegen Herzog Alba (Thomas Ecke) dorthin entsenden will, um dem Volk Mores zu lehren – auch mit den Mitteln der Inquisition.
Kirche und Militär als Säulen einer absolutistischen Macht. Es braucht nicht einmal die Diskussion um die Rolle des neuen Papstes in Zeiten der argentinischen Militärjunta, um die zeitlose Aktualität dieses Klassikers zu belegen.
Matuschka setzt noch eins drauf, lässt den Darsteller des Posa (Axel Julius Fündeling) in einer Art Prolog versteckt hinter der Guy-Fawkes-Maske der Anonymous-Bewegung eine Rede des Globalisierungskritikers Jean Ziegler verlesen. Vielleicht kein notwendiger Effekt, aber einer, der auch jungen Menschen den Zugang zum Stück erleichtern könnte.
Auch Schiller-Puristen brauchen sich vor der zupackenden Inszenierung nicht fürchten. Denn Matuschka billigt dem Stück satte drei Stunden Spielzeit zu, im zweiten Teil wäre weniger doch etwas mehr gewesen. Für die wenigen Längen entschädigt der Abend aber reichlich mit extrem dichten Momenten. Beispielswiese, wenn der Marquis von Posa dem König die Worte „Gebt Gedankenfreiheit, Sire“ ins Ohr flüstert und Philipp sie selbst spricht.
Fündeling ist als Posa ein sanfter Schwärmer, der ganz vom Feuer seiner humanistischen Ideen getrieben und letztendlich verzehrt wird. Das Feuer in Karlos (Philip Heimke) lodert eher erotisch denn politisch, er darf stürmen und drängen, das wohl sogar die Granden der deutschen Klassik, Goethe und Schiller, ihre Freude gehabt hätten.
Auch das Ende wäre wohl nach Schillers Geschmack gewesen. Posa ist tot, eigentlich sollte Philipp Karlos dem Großinquisitor übergeben. Ob er es tut, bleibt offen, denn plötzlich sinken die Hofschranzen wie Marionetten, denen die Fäden gekappt werden, zusammen. Karlos bleibt stehen, die Idee einer besseren Welt lebt. Vielleicht sind die Verhältnisse gar nicht so unverrückbar.

Südkurier, 18.03.2013 von Wolfgang Bager

Ganz viel Schiller und ein wenig Staub

Johannes von Matuschka inszeniert in Konstanz Don Karlos und weckt Erinnerungen an die Bühnenmoden der frühen 70er-Jahre
Da hat sich Regisseur Johannes von Matuschka viel vorgenommen. Schillers Don Karlos will er ausloten. Und er will es gut, will es richtig, ja er will es sogar richtig gut machen bei seiner Inszenierung im Stadttheater Konstanz. Zunächst einmal soll Schiller selbst uneingeschränkt zu Wort kommen. Die pathetisch-rebellische Sprache des ausgehenden Sturm und Drang, das Aufbegehren gegen allzu strenge höfische Ordnung, der Vater-Sohn-Konflikt, die Geschichte einer unerfüllten Liebe und schließlich die kühne Vision, politische Konflikte statt mit militärischen Aktionen mit Weitsicht, Toleranz und Freiheit beizulegen – all das soll auf der Bühne dargestellt, verhandelt und vielleicht sogar ein bisschen zelebriert werden. Nicht zu vergessen der notwendige Bezug zur Gegenwart, denn schließlich sind wir alle ja auch Schiller.
Und so beginnt die Inszenierung schon fast zwanghaft folgerichtig, dass Don Karlos‘ junger Freund, der Marquis von Posa, mit Guy-Fawkes-Maske und schwarzer Kapuze als Attac-Aktivist einen flammenden Aufruf gegen den neoliberalen Kapitalismus ausbringt. Der zu erwartende Protest eines konservativen Publikums wird gleich mit inszeniert. „Wir wollen Don Karlos sehen“ ruft ein grauhaariger Herr im Parkett. Es ist der Schauspieler Frank Lettenewitsch, der nun selbst auf die Bühne kommt, sich eine weiße Perücke aufsetzt, um den Pater Domingo zu spielen. Schillers Dramengigant setzt sich in Bewegung und wird für die nächsten knapp dreieinhalb Stunden auch nicht mehr zu stoppen sein.
Für die Regie gilt nun das gesprochene Wort. Zu Beginn sogar leider auch das gebrüllte. Nichts soll vom Text ablenken. Johannes von Matuschka erzählt die Geschichte vom Königssohn Karlos, der in die Frau des Vaters verliebt ist, der den Aufstand in Flandern befrieden will und der von seinem engen Freund Posa manch schwerer Prüfung unterzogen wird. Die Schauspieler gehen ernst und streng ihrer Arbeit nach, diszipliniert wird Schiller gesprochen, Auf- und Abgänge erfolgen in militärisch strammem Schritt. Auch Marie Holzers Bühnenbild hat sich dem unterzuordnen. Ein paar verspiegelte Stellwände, eine knallrote Sitzgruppe und im Palast des Königs ein wirkungsvoller Lampenhimmel, das soll es dann auch schon gewesen sein. Der Rest ist Schiller.
So viel Strenge kann anstrengend werden. Doch es gelingen immer wieder Szenen von großer inhaltlicher Dichte, die selbst in dieser eher puristischen Inszenierung Spannung aufkommen lassen. Ganz besonders gilt dies für die Auftritte von Axel Julius Fündeling in der Rolle des Posa. Er ist einer der wenigen, der nie laut wird, der beherrscht und leise seine fintenreichen Pläne spinnt. Wenn er vom König verlangt, „Sire, geben Sie Gedankenfreiheit“ wird die Bühne, ja sogar der Zuschauerraum plötzlich ganz klein. In scharfem Gegensatz zur stillen, messerscharfen Kühle des Posa rennt Philip Heimke als Don Karlos lautstark gegen Wände und schreit sich seine Qualen aus dem Leib. Auch ihm gelingen immer wieder große und beklemmende Szenen. Ralf Beckord bleibt als Philipp in seiner Königsrolle vielleicht etwas steifer als es das höfische Protokoll verlangt. Die übrigen Rollen sind mit Jana Alexia Rödiger (Elisabeth), Sarah Sanders (Prinzessin Eboli), Thomas Ecke (Alba), Zeljko Marovic (Lerma) und Frank Lettenewitsch (Domingo und Großinquisitor) zuverlässig besetzt. Bewundernswert, wie dieses Ensemble den gewaltigen Textmengen Herr wird.
Und so kann sich auch eine halbe Stunde vor Mitternacht das Premierenpublikum erschöpft, aber zufrieden noch zu langem dankbaren Beifall durchringen. Älteren Theatergängern fällt allenfalls auf, wie sehr Regisseur von Matuschka seinen Inszenierungsstil an den Bühnenmoden Anfang der 70er-Jahre ausrichtet. Ein paar mobile Wände als Bühnenbild, vom Schnürboden herabkommende Lampen, Auftritte und Abgänge der Schauspieler vom Zuschauerraum aus, eingestreute Tanzeinlagen und ein als Zuschauer versteckter Schauspieler, das war damals auf deutschen Bühnen sehr beliebt. Ziemlich genau zu der Zeit, in der der 39-jährige Johannes von Matuschka das Licht der Welt erblickte. Der leichte Bühnenstaub, der über der Inszenierung liegt, ist jedenfalls nicht Friedrich Schiller anzulasten.

Südkurier, 26.03.2013 Leserbrief von Renate Schwalb

Kein Bühnenstaub

Zu »Ganz viel Schiller und wenig Staub« von Wolfgang Bager
Auch der beste Kritiker kann sich nicht von seiner subjektiven Wahrnehmung lösen, selbst wenn diese durch noch so fundiertes Fachwissen untermauert scheint. Im Falle des „Don Karlos“ würden sich viele Zuschauer ein hervorragend inszeniertes und gespieltes Stück entgehen lassen, ließen sie sich von dem Wort „Bühnenstaub“ abschrecken. Warum sollen Stilmittel, die in den 70er Jahren beliebt waren, verstaubt sein, wenn sie sich als schlüssig erweisen und so gut eingesetzt werden wie in dieser Inszenierung? Was das Thema „Geschrei“ betrifft, so tut der Kritiker in diesem Fall dem Darsteller des Don Karlos unrecht. Dieser ist nicht klug, beherrscht und intrigierend- wenn auch für die „gute“ Sache – wie sein Freund Posa, sondern impulsiv, schwankend zwischen Hochs und Tiefs. Ein solcher Charakter muss auch mal schreien. Und was den König betrifft, so wird sichtbar, wie unter der Maske des Herrschers der sich nach Liebe sehnende Mensch mit sich kämpft immer wieder verliert.